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Kommentar: Die Europäische Union braucht wieder eine gemeinsame Vision

Kommentar

Die Europäische Union braucht wieder eine gemeinsame Vision

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    Bei diesem EU-Gipfel geht es auch um die Zukunft der Gemeinschaft.
    Bei diesem EU-Gipfel geht es auch um die Zukunft der Gemeinschaft. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Als Robert Schuman vor 72 Jahren den Grundstein für die Entwicklung der heutigen Europäischen Union legte, begann der damalige französische Außenminister seine Erklärung mit prophetischen Worten. „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“ Dann skizzierte Schuman seine Vision eines europäischen Bündnisses: Solidarität, Frieden, die Verbesserung der Lebensverhältnisse.

    Wenn an diesem Donnerstag die 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel zum Gipfel zusammenkommen, reden sie auch über die Zukunft der Gemeinschaft. Das Treffen steht im Zeichen der Erweiterung, nachdem die EU-Kommission vergangene Woche empfohlen hatte, die Ukraine sowie Moldau offiziell zu Kandidaten für den EU-Beitritt zu ernennen. Die Länder werden wohl zustimmen. Doch sehr viel wert ist dieses Versprechen nicht. Die Ukraine ist in der Realität Jahrzehnte von einer Mitgliedschaft entfernt. Es handelt sich hier um reine Symbolpolitik der 27 Staatenlenker. Diese einfache, vermeintlich große Solidaritätsgeste kostet sie nichts. Ob es sich derweil als gute Idee herausstellt, in Kiew solch hohe Erwartungen zu schüren, darf bezweifelt werden. Es könnte in einer bösen Enttäuschung enden.

    Ist Emmanuel Macron doch nur ein Sonntagsredner?

    Die EU sollte die lautstark geäußerten Beitrittsbestrebungen der Ukraine sowie der Westbalkan-Länder lieber zum Anlass nehmen, sich an Gründungsvater Schuman zu erinnern. Wie selten zuvor braucht es eine gemeinsame und mutige Vision. Wohin steuert dieses Projekt? Wie will die EU die Gratwanderung schaffen, einerseits handlungsfähig zu bleiben und andererseits die Staaten Ost- und Südosteuropas enger an sich zu binden?

    Gerne stilisiert sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron als Chef-Reformator. Doch angesichts der vielen Vorschläge, die zu oft konkrete Ergebnisse missen lassen, fragen sich Beobachter in Brüssel zunehmend, ob Macron die Rolle des Schöpfergeistes ausfüllen kann – oder doch eher als schaumschlagender Sonntagsredner durchgeht. Sein Vorschlag etwa, eine „europäische politische Gemeinschaft“ für beitrittswillige Länder zu schaffen, mag der richtige Ansatz sein. Aufgrund der vielen Kritiker der „EU zweiter Klasse“ hat er aber nicht allzu viel Aussicht auf Erfolg. Leider fehlt es an alternativen Vorstößen und Ideen genauso wie an Politikern, die Führung zeigen und voranschreiten.

    In der EU dürfen nicht alle Tabus fallen

    Dass einem Land im Krieg der Beitrittskandidatenstatus verliehen wird, ist ein Novum. Aber obwohl in Europa mit dem Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ukraine eine neue Zeitrechnung angebrochen ist, dürfen nicht alle Tabus fallen. Es wäre ein fataler Fehler, von dem komplexen Prozess und den Anforderungen abzurücken, die für EU-Anwärter gelten, sonst steht die Zukunft des Projekts als Ganzes auf dem Spiel.

    Vielmehr sollte die Gemeinschaft diesen Moment für Reformen nutzen. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Kriterien zum Beitritt zwar streng sind und man zu Recht eine funktionierende Demokratie vorweisen muss. Aber einmal im Klub, herrschte bislang beinahe Narrenfreiheit. Niemandem ist bei der Einführung der Standards in den Sinn gekommen, dass Länder Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit auch wieder zurücknehmen oder Korruption zum Teil des Systems machen könnten. Wie verhängnisvoll dieses Versäumnis war, zeigt sich in Polen und Ungarn. Erst muss der Rechtsstaatsmechanismus, das neue Instrument zur Wahrung der in der EU geltenden Werte, funktionieren, bevor EU-Träumer beginnen, ernsthaft über eine Erweiterung des Klubs nachzudenken.

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