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Kommentar: Die Beliebtheit von Politikern ist so vergänglich wie nie

Kommentar

Die Beliebtheit von Politikern ist so vergänglich wie nie

Michael Stifter
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    Doch noch ein Team? Armin Laschet und Markus Söder sind um Entspannung in der Union bemüht.
    Doch noch ein Team? Armin Laschet und Markus Söder sind um Entspannung in der Union bemüht. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Markus Söder wird bisweilen unterstellt, er habe sich nicht im Griff. Und tatsächlich konnte man im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur schon mal den Eindruck gewinnen, dass da einer – berauscht von der eigenen unverhofften Popularität – zumindest nicht mehr jede Sekunde über die Kollateralschäden seiner Worte nachdenkt. Aber wie so oft, kann man die Dinge auch ganz anders bewerten: Vielleicht hat Söder einfach nur ein besseres Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung als andere – und die ändert sich momentan so schnell wie nie zuvor.

    Auf der Tasse von Markus Söder steht "Alles wird gut" - eine Versöhnungsgeste?

    Der bayerische Ministerpräsident hatte lange abgewartet, ob er antreten soll, und es erst gewagt, als der Wind sich zu seinen Gunsten gedreht hatte. Dass er das Duell mit Armin Laschet trotzdem nicht gewinnen konnte, hat vor allem damit zu tun, dass sein Kontrahent ein Meister darin ist, Gegenwind standzuhalten. Nun, da der Sturm sich gelegt hat, richtet sich auch Söder neu aus. Er will nicht als nachtretender Ehrgeizling wahrgenommen werden. Und weil der CSU-Chef subtile Botschaften gerne über die niemals zufällige Wahl seiner Kaffeetasse sendet, trank er beim digitalen Unionstreffen mit Laschet am Donnerstagabend demonstrativ aus einem Becher mit der Aufschrift: „Alles wird gut.“

    Söder scheint aus seiner Sicht zur Genüge demonstriert zu haben, dass er sich für die bessere Wahl gehalten hätte. Sollte er nun tatsächlich als vor Kraft strotzender Antreiber im Team Laschet spielen, könnte sich das Blatt wieder zugunsten der gebeutelten Union wenden. Deren Umfrageabsturz scheint jedenfalls gestoppt zu sein, während gleichzeitig die Grünen, deren Kandidatin mit orkanartigem Rückenwind gestartet war, in erste Turbulenzen geraten.

    Annalena Baerbock spürt zum ersten Mal, wie schnell sich der Wind dreht

    Noch vor ein paar Wochen galten Annalena Baerbock und Robert Habeck als harmonischer Gegenentwurf zu den notorischen Streithanseln von CDU und CSU. Und jetzt erklärt sich der vermeintlich schlechte Verlierer Söder zum Mannschaftsspieler, während sich der vermeintlich gute Verlierer Habeck zu ersten Sticheleien gegen Baerbock hinreißen lässt. Der Wirbel um erst nachträglich gemeldete Zusatzeinkünfte gibt der Grünen-Kandidatin zudem einen ersten Vorgeschmack darauf, wie unberechenbar die Stimmung in diesem vielleicht spannendsten Wahlkampf aller Zeiten sein wird. Bis September kann alles wieder anders sein. Oder ganz anders. Zumal ja auch noch Olaf Scholz und die SPD – bislang weitgehend im Windschatten – ins Rennen eingreifen wollen.

    Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Kanzlerkandidatin.
    Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Kanzlerkandidatin. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Zur Symbolfigur der neuen deutschen Stimmungsschwankungen wurde Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Sommer noch als Kanzlerkandidat und CDU-Chef der Herzen galt und jetzt zittern muss, ob im nächsten Kabinett überhaupt noch Platz für ihn ist. Die Pandemie hat die Vergänglichkeit von Popularitätswerten noch verstärkt. Mal standen die knallharten Dichtmacher hoch im Kurs, dann wieder die Öffnungsbefürworter. Erst wurde das Corona-Management gefeiert, dann verflucht. Sollte das Land die Pandemie bis zum Sommer in den Griff bekommen, können aber auch ganz andere Themen die Wahl entscheiden.

    Wer regieren will, braucht selbst eine Idee, anstatt auf Stimmungen zu setzen

    Diese Schnelllebigkeit stellt die Kandidaten im Bundestagswahlkampf vor ein Dilemma, das sie kaum lösen können: Wer allzu wendig auf Stimmungen reagiert, gilt als Fähnchen im Wind. Wer zu lange dagegenhält, wirkt so, als hätte er sich vom Leben der normalen Bürger entkoppelt. Wer Kanzlerin oder Kanzler werden will, sollte deshalb nicht nur das richtig finden, was gerade populär ist, sondern selbst eine klare Idee davon haben, was richtig ist – und dafür um Zustimmung werben.

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