Deutschland macht immer wieder den gleichen Fehler, wenn es um den Umbau des Energiesystems und der Verkehrswege zum Schutz des Klimas geht: Das gangbare Tempo wird gnadenlos überschätzt. Denn in Kraftwerke, Autobahnen und Schienenstränge wird nicht mit einem Zeithorizont von Jahren investiert, sondern von Jahrzehnten. Änderungen haben eine lange Dauer, nichts geht von heute auf morgen und schon gar nicht in der wohltemperierten Behaglichkeit deutscher Staatlichkeit.
Wie ungebrochen der Glaube daran ist, mit Federstrichen die Welt umzustürzen, zeigt die Posse um den sogenannten Deutschlandtakt der Bahn. Das Ziel ist löblich und gut: Alle großen deutschen Städte sollen per Zug im Halbstundentakt verbunden werden. Als Jahreszahl hatte sich dafür 2030 eingebürgert.
Verkehrsminister Wissing erlebt die Tragik aller Verkehrsminister
Doch niemand, der sich ein wenig mit der Eisenbahn befasst oder der in den vergangenen Jahren regelmäßig in einen Zug eingestiegen ist, konnte glauben, dass dieses Zieljahr realistisch hätte sein können. Bis 2030 können einzelne Städtepaare in enger Taktung verbunden werden, aber halbstündliche Verbindungen zwischen allen Ballungszentren des Landes aufzubauen, ist ein Unterfangen für Jahrzehnte. Verkehrsminister Volker Wissing und sein Bahnbeauftragter Michael Theurer müssen sich deshalb anhören, dass im Verkehrssektor zu wenig CO2 eingespart wird und das daran liegt, dass die Bahn nicht fit ist für diese Aufgabe.
Doch die beiden FDP-Männer treiben gerade das große Sanieren und Flottmachen des Staatsbetriebes voran. Es gehört zur Tragik aller Politiker, die an der Infrastruktur schrauben, dass Erfolge sich erst einstellen, wenn ihre Nachfolger im Amt sind. Dass die eilige Ertüchtigung des Gleisnetzes notwendig ist, um Schritt für Schritt das größere Ziel des Deutschlandtakts zu erreichen, wird keiner bestreiten. Dennoch werden sich die Reisenden aufregen, wenn es deshalb im Betrieb ruckelt und die Züge zu spät sind.
Was die vielen Baustellen aber nicht entschuldigen können, ist der schlechte Service, den die Bahn zu oft bietet. Wer für 100 Euro einen Fahrschein kauft und dann nicht einmal einen Kaffee an Bord bekommt, der kann sich zu Recht aufregen. Wer in einen Zug steigt, auf dem die Hälfte der Toiletten zugesperrt ist, der kann sich zu Recht aufregen. Wer in einem verspäteten Zug sitzt und weder eine Begründung für die Verzögerung noch stimmige Informationen über die nächsten Anschlüsse erhält, kann sich zu Recht aufregen. Hier dürfen der Minister und sein Bahn-Beauftragter das Management nicht aus der Verantwortung lassen. Das Unternehmen muss besser werden.
Die Bürokratie macht die Deutsche Bahn träge
Absehbar ist, dass die Ampel-Koalition ein Grundübel des bundeseigenen Konzerns nur homöopathisch angehen wird. Wie alle behördlichen Strukturen leidet er unter einer aufgeblähten Verwaltung, die ihren Daseinszweck legitimiert, indem sie Vorgänge verwaltet. Die geplante Zusammenlegung von Bahnhofssparte und Netz AG der Bahn wird dennoch ein Kraftakt, der aber an dem grundsätzlichen Problem nicht viel ändern wird. Die Bahn wird auch in Zukunft zu viele Häuptlinge, Mittelhäuptlinge und zu wenige Indianer haben.
Wegen der eingangs genannten Bedingungen und der behördlichen Struktur des Konzerns ist es gleichsam illusorisch zu glauben, dass die Schiene Auto und Lkw großglächig verdrängen könnte. Die neueste Verkehrsprognose des Verkehrsministeriums lautet, dass der Lkw-Verkehr bis zur Jahrhundertmitte um satte 50 Prozent wachsen und der Autoverkehr leicht zulegen wird. Volkswirtschaftlich ist es wenig sinnvoll, jeden Mittelständler in der Provinz nachträglich an das Schienennetz anzuschließen, gerade wenn man bedenkt, aus wie vielen Ländern heute Teile und Vorprodukte für Industriegüter wie Autos kommen. Gleiches gilt für den Aufbau eines Nahverkehrs als Vollversorgung auf dem platten Land. Das sind natürlich keine Gottgegebenheiten. Aus Gründen des Klimaschutzes kann eine Gesellschaft zu der Überzeugung gelangen, dass die Vollversorgung genau das Richtige ist. Sie muss dann bereit sein, hohe Kosten dafür zu tragen.