Zur Regierungshalbzeit steht die Ampelkoalition in der Arena und ist stehend k. o. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist aufgezehrt, die Stimmung gereizt. Alle drei Parteien befinden sich in einer für sie bitteren Lage.
Am schlimmsten dran ist die FDP, in der die Angst umgeht, bald politisch von der Bildfläche zu verschwinden. Es ist existenziell. Die Grünen müssen sich derweil eingestehen, dass sie ein stabiles Kernmilieu mobilisieren können, aber die schönen Träume von der neuen Volkspartei ausgeträumt sind. Ihre ambitionierte Klimapolitik erweist sich als nicht durchsetzbar. Nach dem überraschenden Wahlerfolg von Olaf Scholz vor zwei Jahren liegt seine SPD in der Bürgergunst wieder im depressiven Bereich. Dem Kanzler gelingt es nicht, trotz der prägenden Rolle im politischen System, seinen Sozialdemokraten Rückenwind zu geben.
Eigentlich die Zeit für einen Bruch
Wenn alle drei Parteien am gemeinsamen Regieren leiden, wäre es eigentlich an der Zeit, das Bündnis aufzukündigen. Doch ein Aufkündigen ist für alle Partner die noch schlechtere Option. Im Falle von Neuwahlen müsste die FDP damit rechnen, ein zweites Mal aus dem Bundestag zu fliegen und daran zugrunde zu gehen. Die SPD müsste sich auf den Verlust des Kanzleramtes einstellen. Und den Grünen bliebe die Rolle als Juniorpartner von CDU und CSU, die die Partei zum Hauptgegner ausgerufen haben. Ein Wechsel des Regierungsbündnisses mitten in der Legislatur brächte den Parteien ebenfalls keine Verbesserung.
Aus diesen Erwägungen heraus wird sich die Ampelkoalition noch zwei Jahre wie ein Untoter weiterschleppen. Weil ihre drei Glieder unzufrieden sind, werden sie versuchen, ihr eigenes Profil zu schärfen, wie dieses Vorgehen beschönigend umschrieben wird. In Wahrheit handelt es sich um nichts anderes, als gegen die Koalitionspartner zu holzen. Die FDP hat das im zurückliegenden Jahr in extenso gemacht, sich an den Grünen abgearbeitet und profitiert dennoch nicht davon. Im Gegenteil: Der dadurch ausgelöste Streit zieht alle drei Parteien nach unten.
Eigentlich hatten sie sich vor der Sommerpause vorgenommen, das Foulspiel in den eigenen Reihen zu unterlassen. Doch das Beispiel Kindergrundsicherung zeigt, dass das Streben nach einem besseren Umgang schneller passé war als gute Vorsätze nach Silvester.
Viele Abgeordnete zittern um ihre Karrieren
Der Drang, nun rasch Erfolge für die eigene Wählerschaft in der Hoffnung auf steigende Umfragewerte herausholen zu müssen, wird dadurch verschärft, dass der nächste Bundestag wegen der Wahlrechtsreform rund 100 Abgeordnete weniger haben wird. Viele Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP müssen sich darauf einstellen, dass ihre politische Karriere nach der nächsten Bundestagswahl vorbei ist. Auch diese strukturelle Veränderung wird dazu beitragen, dass die Angst wächst und der Druck im Kessel nicht weniger wird.
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Die Koalition ist außerdem damit konfrontiert, dass die vergangenen Jahre einen Krisenstrudel aus Corona-Pandemie, Erderwärmung, Krieg in der Ukraine und Massenflucht produziert haben, der eine historische Aufgabe sondergleichen ist. Jetzt bricht ein neuer Krieg im Nahen Osten aus. Keine Regierung der Welt könnte die Folgen dieser Verwerfungen komplett wegregieren. Es ist die Tragödie der Ampelkoalition, dass ihr der große Erfolg der Abwehr des Energieschocks infolge des russischen Angriffs keine Anerkennung verschafft.
Stattdessen hat sie mit dem verunglückten Heizungsgesetz ihr Ansehen ruiniert und in der Flüchtlingskrise niemals den Eindruck erweckt, engagiert für die Begrenzung der Migration einzutreten. Es bräuchte in dieser Situation einen Bundeskanzler, der wie Gerhard Schröder als Frontmann den Laden am Laufen hält. Doch Olaf Scholz wird kein Entertainer mehr und hat sich im Habitus auf die Methode-Merkel verlegt. Doch anders als bei ihr verfängt dieser Stil nicht. Es ist der falsche Stil für diese Zeiten. Die Ampelkoalition müsste sich entweder neu erfinden oder auflösen. Gegen beides sprechen die politischen Wirkmechanismen. Vom Elend der Ampel, die sich selbst schädigt, wird die AfD weiter profitieren.