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Kommentar: Die alten Volksparteien stehen vor dem sicheren Abstieg

Kommentar

Die alten Volksparteien stehen vor dem sicheren Abstieg

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    Die nächste Koalition in Sachsen-Anhalt wird aller Voraussicht nach sehr bunt.
    Die nächste Koalition in Sachsen-Anhalt wird aller Voraussicht nach sehr bunt. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa

    Wenn am Sonntagabend die Wahlergebnisse im Fernsehen laufen, werden sich viele Westdeutsche fragen, warum so viele Ostdeutsche für AfD und Linke stimmen. Die Frage drängt sich auf und sie hat alle Berechtigung. Die Antworten darauf haben mit dem Erbe der DDR zu tun, aber nicht nur. Aus ihnen wird sich ergeben, dass das Bild aus Sachsen-Anhalt im Kleinen die Zukunft für das gesamte Land zeigt.

    Das kann verunsichern, weil das Versprechen der alten Bundesrepublik nach den Verheerungen des Nationalsozialismus Stabilität hieß. Ein ultra-stabiles Parteiensystem sollte der Demokratie ein sicheres Fundament sein, die stabile D-Mark die Inflation bannen, die die Demokratie von Weimar so viel Ansehen gekostet hatte. Die Mark wurde längst vom Euro abgelöst und das Dreiparteiensystem aus Union, SPD und FDP ist zum Sechsparteiensystem geworden.

    Die Große Koalition ist das Zucken des alten Machtgefüges

    Die Gesellschaft ist vielgestaltiger geworden, Milieus haben sich aufgelöst und den drei Gründungsparteien der Bundesrepublik gelang es nicht mehr, neue Interessen glaubhaft aufzunehmen und zu vertreten. Bei den Grünen ist der Umweltschutz der Glutkern, bei den Linken die Integration der Ostdeutschen in ein anderes Land, bei der AfD die Furcht vor dem Verlust des Eigenen in einer globalen Welt. Die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel ist das letzte Zucken des alten westdeutschen Parteiensystems. Nach zwei gemeinsamen Legislaturperioden ist sie nicht mehr groß, sondern klein.

    Damals waren die Grünen noch jung und wild: Grünen-Star Joschka Fischer im Jahr 1990.
    Damals waren die Grünen noch jung und wild: Grünen-Star Joschka Fischer im Jahr 1990. Foto: dpa

    Die SPD taumelt in den Umfragen um den Wert von 15 Prozent und ist keine Volkspartei mehr. CDU und CSU haben zuletzt stark eingebüßt und liegen rund 10 Punkte vor den Sozialdemokraten. Umfragewerte sind unstet, aber der dahinter liegende Trend ist stabil wie das frühere Parteiensystem. Die beiden Volksparteien werden als Anker abgelöst. Die SPD hat es bereits hinter sich, die Union ist auf dem Weg dorthin. Es gibt regionale Besonderheiten, die den Abstieg verzögern. Dazu zählt die singuläre Position der CSU in Bayern und die Wirkung beliebter politischer Anführer wie Angela Merkel.

    Dass andere Parteien die Rolle als Volkspartei klassischen Typs einnehmen, dagegen spricht die eingangs beschriebene Ausdifferenzierung. Zu erwarten steht aber, dass Grüne und AfD stark bleiben oder zulegen. An ihnen spiegelt sich der neue gesellschaftliche Konflikt zwischen liberalen Globalisierungsgewinnern und Bürgern, die sich zurück nach einem Deutschland sehnen, wie es früher war – also ohne Migranten und in der Gestaltung seiner Politik frei von den Zwängen einer gemeinsamen europäischen Linie.

    Die politische Farbenlehre wird kompliziert

    Dass Grüne und AfD aber Wähler aus allen Bevölkerungsschichten wie einst SPD und CDU/CSU repräsentieren werden, ist unwahrscheinlich. Die Veränderung der Parteienlandschaft führt dazu, dass die Farbenlehre nach Wahlen komplizierter wird.

    CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff führt in Sachsen-Anhalt eine Kenia-Koalition, in der es schwer knirschte. Am Sonntag entscheiden die Wähler neu.
    CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff führt in Sachsen-Anhalt eine Kenia-Koalition, in der es schwer knirschte. Am Sonntag entscheiden die Wähler neu. Foto: dpa

    Das Beispiel Sachsen-Anhalt zeigt, dass dort Parteien Bündnisse aus der Not heraus eingehen müssen, wenn AfD und Linke aus der Regierung herausgehalten werden sollen. Bei diesen Zweckbündnissen besteht die Gefahr, dass sie mehr verwalten als gestalten, weil der gemeinsame Geist fehlt.

    Die Stärke der AfD im Osten lässt sich nicht durch einen Grund erklären. Sie liegt am Erbe einer Einparteiendiktatur (nebst Blockflöten) ohne Meinungsstreit, daran, dass Ausländer immer noch fremd sind. Und sie liegt am Misstrauen gegen Eliten, das aus dem Trauma der Massenarbeitslosigkeit in den 90er Jahren herrührt. Einst konnte Die Linke die Wut aufsammeln, heute macht das die AfD. Ihr Wählerpotenzial im Westen ist kleiner. Aber auch dort gibt es kein Zurück mehr zu den überschaubaren Zeiten von einst.

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