Willkommen im Land der Illusionen. Als sei nichts geschehen in den vergangenen vier Wochen reist der Kanzler in die Ukraine und der Wirtschaftsminister nach Kenia, die Außenministerin macht China ihre Aufwartung, die Bauministerin bittet zum Bündnis für bezahlbaren Wohnraum - und das Kabinett verabschiedet einen Gesetzentwurf, nach dem nur tariftreue Unternehmen an Aufträge des Bundes kommen sollen. Dass aus diesem Gesetzentwurf in Ermangelung einer Mehrheit kein Gesetz mehr wird: Geschenkt. Deutschland soll zumindest das Gefühl haben, es werde noch regiert.
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Olaf Scholz führt keine rot-grüne Minderheitsregierung, die sich nach skandinavischem Vorbild wechselnde Mehrheiten im Parlament sucht, sondern eine aus den Trümmern der Ampel gekrochene Scheinregierung, eine Illusionsmaschine, die vor allem ein Ziel hat: Den Amtsbonus bis zur Wahl im Februar auszureizen und den medialen Präsenzvorteil auszunutzen, den Regierungsparteien gegenüber der Opposition haben.
Der Ukraine hilft Olaf Scholz‘ Besuch nichts
Natürlich lassen sich Partei- und Regierungshandeln nie ganz voneinander abgrenzen. Ein Wirtschaftsminister, der unter großer journalistischer Begleitung eine neue Geothermie-Anlage in Kenia besichtigt, tut dies offiziell natürlich als Minister - aber er ist zugleich eben auch der Kanzlerkandidat der Grünen, zu deren Herzensthemen die erneuerbaren Energien gehören. Ähnlich verhält es sich mit dem Kanzler in Kiew: Die Bilder aus der vergangenen Woche zeigen einen besorgten Staatsmann - und einen Sozialdemokraten, der sich im beginnenden Wahlkampf als Friedenskanzler profilieren will. Der Ukraine jedoch hilft es nichts, wenn Scholz für ein paar Stunden vorbeischaut, zumal ohne die von ihr ersehnten Taurus-Raketen. Von seinem Besuch profitiert, wenn überhaupt, nur der Kanzler selbst, der ein paar Monate nach Beginn des Krieges noch beteuert hat, er gehöre nicht zu denen, die nur „für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin“ nach Kiew reisen würden.
Mit etwas mehr Demut vor der Situation, in der ihre Koalition nach dem Ampel-Aus steckt, würden Scholz und Habeck sich anders verhalten. Sie würden ihr Scheitern eingestehen und ohne großes Getöse versuchen, das Wenige auf den Weg zu bringen, das mit der Union oder der FDP noch zu machen ist - ein höheres Kindergeld etwa oder der Abbau der kalten Progression, von dem Millionen Beschäftigte profitieren würden. Auslandsreisen von Regierungsmitgliedern, die das Land nur noch verwalten, bis eine neue Regierung steht, gehören abseits der üblichen Treffen in EU oder Nato sicher nicht zu den vordringlichen Aufgaben dieser Tage. Oder glaubt Annalena Baerbock tatsächlich, sie könne Chinas Regierung mit einem Kurzbesuch zum Einlenken im Ukraine-Konflikt bewegen?
Eine gescheiterte Koalition verantwortungsvoll abzuwickeln ist eine Kunst - allerdings eine, die Sozialdemokraten und Grüne nicht beherrschen. Auch die immer neuen Aufforderungen an die Union, diesem oder jenem Gesetz noch schnell zuzustimmen, sind in den meisten Fällen nur notdürftig getarnte Wahlkampfmanöver: Sie sollen CDU-Chef Friedrich Merz als Verweigerer und notorischen Nein-Sager dastehen lassen und den Kanzler als selbstlosen Kümmerer zeigen. Tatsächlich kümmert Scholz sich seit dem Ampel-Aus nur noch um sich selbst. Menschlich mag das verständlich sein, politisch aber ist es ein Affront. Das Kanzleramt ist nicht die Wahlkampfzentrale der SPD.
Noch sind der Bundeskanzler und seine Minister im Amt, also können sie auch als solche agieren und müssen Herrn Wais nicht um seine Zustimmung und Erlaubnis fragen. Was sollen sie tun? Einfach dasitzen und die Wahl abwarten? Ais ihrer Partei austreten, damit sie ja keine Werbung in eigener Sache machen? Noch ist die Regierung im Amt und sie tut genau das, was Herr Wais ihr zwar nicht zutraut, sie bringt Dinge zu Ende, die ihr wichtig sind oder bereitet den Weg für Dinge, die noch wichtig sind. Aber Rudi Wais war noch nie ein Freund dieser Regierung, also ist schon klar, dass es ihm nicht schnell genug gehen kann.
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