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Kommentar: Deutschland hat keine andere Wahl als China zu ertragen

Kommentar

Deutschland hat keine andere Wahl als China zu ertragen

Stefan Lange
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    Der Taiwan-Konflikt zeigt, dass es im deutsch-chinesischen Verhältnis schnell Klarheit in den Standpunkten braucht.
    Der Taiwan-Konflikt zeigt, dass es im deutsch-chinesischen Verhältnis schnell Klarheit in den Standpunkten braucht. Foto: Oliver Berg, dpa

    Wann er denn, wurde Kanzler Olaf Scholz kürzlich gefragt, zum Antrittsbesuch nach China reise? Der Regierungschef setzte sein wissendes Lächeln auf und erklärte, dass er dies sicherlich tun werde, Reisepläne aber noch nicht bekannt geben könne. Er habe die Situation im Griff, signalisierte Scholz, der um Peking bisher einen Bogen gemacht hat. Dabei drängt die Zeit.

    Scholz muss China-Bündnis erneuern oder aufgeben

    Der Taiwan-Konflikt zeigt, dass es im deutsch-chinesischen Verhältnis schnell Klarheit in den Standpunkten braucht. Berlin muss erklären, wo es steht. Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel hatte offensiv die Nähe des Riesenreichs mit seinen rund 1,4 Milliarden Menschen gesucht. Die Kanzlerin schwärmte von dem riesigen Tempo, mit dem sich das Reich der Mitte modernisiert, während in Deutschland eine neue Bahnstrecke 20 Jahre dauert. Ihr wichtigstes Anliegen war es, den riesigen chinesischen Markt für die deutsche Wirtschaft zu sichern und dafür suchte sie den engen Schulterschluss mit Staatspräsident Xi Jinping. Beide sprachen sich gemeinsam für freien Handel aus, was in der Welt für große Aufmerksamkeit sorgte. Scholz müsste dieses Bündnis entweder erneuern oder aufkündigen.

    Das Spiel um Milliarden-Geschäfte und Einfluss hat sich allerdings verändert. US-Präsident Donald Trump ist nicht mehr im Amt, aber sein Nachfolger Joe Biden ist dem Slogan „America first“ ebenfalls zugetan. Gleichzeitig wendet sich Biden verstärkt dem Asien-Pazifik-Raum zu. Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Karten noch mal neu durchmischt.

    Taiwan-Konflikt erinnert an die Wochen vor dem Ukraine-Krieg

    Wenn über die deutschen und europäischen Beziehungen zu China geredet wird, fällt zu Recht das Stichwort Menschenrechte. Xi bekräftigt zwar oft, dass kein System besser sei als ein anderes. Doch die Bilder blutig geprügelter Demonstranten in Hongkong sind allgegenwärtig, ebenso wie die von verhafteten muslimischen Uiguren. Internetsperren, Isolationshaft ohne Anwaltskontakt, Folterungen – die Liste ist lang.

    Und jetzt noch der Konflikt um Taiwan, das von chinesischem Militär quasi umzingelt ist und sich in einer Lage befindet, wie die Ukraine vor einem halben Jahr. Russland ließ seine Soldaten zunächst ebenfalls an der ukrainischen Grenze aufmarschieren, deklarierte dies wie Peking zur Militärübung und ging schließlich in den brutalen Angriff über. Sollte China ähnliches tun und in Taiwan einmarschieren, müsste der Westen, müssten die EU und die Bundesregierung theoretisch gegen Peking ebensolche Sanktionen verhängen wie gegen Moskau.

    Sanktionen gegen China kann sich Deutschland eigentlich nicht leisten

    Dazu wird es indes aller Voraussicht nach im Ernstfall nicht kommen. Die Handelsbeziehungen zu China sind viel breiter und wichtiger als die zu Russland: Rund die Hälfte der deutschen Ausfuhren in den Asien-Pazifik-Raum geht traditionell nach China. Die Corona-Pandemie beeinträchtigte das Geschäft zwar, im ersten Halbjahr wuchsen die deutschen Exporte nach China jedoch um 2,9 Prozent. Russisches Gas lässt sich ersetzen, wenn auch unter Mühen. Chinesische Technologie nicht. Selbst wenn leistungsstarke Mikrochips, wie es sie heutzutage in fast jedem Gerät gibt, auf absehbare Zeit in Europa produziert werden könnten, wäre der Westen immer noch auf chinesische Rohstoffe angewiesen. Etwa auf Seltene Erden.

    Ginge es nach dem moralischen Empfinden, müsste Scholz auf Distanz zu China gehen. Geht es aber nicht. Schon die Russland-Sanktionen sind teuer erkauft und wirken auf Jahre nach. Noch so eine Aktion könnte sich Berlin schlichtweg nicht leisten. Das ist bitter, aber nicht zu ändern.

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