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Kommentar: Deutschland droht das Bürokratie-Burn-out

Kommentar

Deutschland droht das Bürokratie-Burn-out

Stefan Stahl
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    Die Bundesregierung kämpft letztlich vergeblich gegen unnötige Bürokratie an.
    Die Bundesregierung kämpft letztlich vergeblich gegen unnötige Bürokratie an. Foto: Ralf Hirschberger, dpa

    Deutschland hat kein Erkenntnisproblem, was Bürokratie betrifft, sondern ein Umsetzungsproblem. Während Regierungen immer neue Anläufe genommen haben, um die wirtschaftlich und nervlich belastende staatliche Regulierungswut einzudämmen, werden immer neue Bestimmungen im Überfluss erlassen, um damit alle Bürokratie-Abspeckprogramme zu konterkarieren.

    Das ist einer der großen Widersprüche in diesem Land. Obwohl das Bewusstsein, viel zu viel zu regeln statt Menschen und Firmen zu vertrauen, vorhanden ist, verpuffen alle Besserungsgelöbnisse der Politik. Dabei bringen ehrenwerte Versuche, wie sie jetzt Wirtschaftsminister Habeck beim Lichten des Solar-Regelungsdschungels unternimmt, nur in Teilbereichen Entlastung. Letztlich führt das Silodenken einzelner Ministerien und Behörden – ob auf deutscher oder europäischer Ebene – jedoch dazu, dass unter dem Strich die Regelungsspeicher immer üppiger befüllt werden. Bestimmungsproduzenten hocken in ihren Silos und häufen, oft im guten Willen, Bürger vor Gefahren des Lebens zu schützen, neues Regelwerk an, ohne zu berücksichtigen, dass in anderen Silos ebenso fleißig gewerkelt wird.

    Der Kern des deutschen Bürokratiemonsters

    Nicht einzelne Regelungen sind das Problem, sondern die erdrückende Summe aller Bestimmungen. Das ist der Kern des deutschen Bürokratiemonsters. Durch die fatale Silo-Mentalität laufen Versuche, den Würgegriff zu lockern, ins Leere, also etwa die heiligen Brüsseler Schwüre, für eine neue Regelung eine alte abzuschaffen.

    In Deutschland wird Bürokratie mit aufwendigen bürokratischen Methoden kontrolliert. Was sich wie ein Witz anhört, ist absurde Realität. So checkt der Nationale Normenkontrollrat Gesetze auf Regelungskosten. Das hat Ex-Kanzlerin Angela Merkel einst zur steilen These veranlasst, Deutschland sei auf der Zielgeraden beim Bürokratieabbau. Warum ist dann nach dem dritten, noch unter Merkel beschlossenen Bürokratie-Entlastungsgesetz nun ein viertes notwendig? Weshalb misst das Statistische Bundesamt den „Erfüllungsaufwand“, der bei der Umsetzung von Gesetzen entsteht, ja ermittelt einen „Bürokratiekosten-Index“ und erstellt ein entsprechendes „Belastungsbarometer“?

    Deutschland braucht Bürokratie-Sheriffs

    Was wie eine absurd-kafkaeske Geschichte klingt, ist deutsche Misstrauensrealität gegenüber Bürgern und Wirtschaft. Das Land bräuchte eine Art Bürokratie-Sheriffs, die Regelungsproduzenten in Silos unangemeldet besuchen und ihnen bei Ausflügen zu anderen Silos zeigen, welcher Bestimmungswust dort fabriziert wird. Denn die Lage ist ernst: Nach Verbandsangaben sagen vier von fünf Handwerksmeistern, sich nicht selbstständig machen zu wollen, weil sie keinen Nerv für Bürokratie hätten. So gehe einer von fünf Arbeitstagen für die Erledigung von Vorgaben drauf. Manch Handwerker arbeitet am Wochenende seine Bürokratielast ab. Was unglaublich ist: Nach Erkenntnissen der Industrie- und Handelskammern braucht eine mittelständische Firma im Gastgewerbe 14 Stunden pro Woche, um Regelungspflichten nachzukommen.

    Angesichts des Arbeitskräftemangels können wir uns den Irrsinn nicht mehr leisten. Doch es gibt eine große Chance, um das Tun der Bürokraten zu stoppen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann macht allen Opfern Mut: „Wir haben nicht mehr das Personal, so filigrane Regelungen überhaupt zu administrieren.“ Deutschland könne so nicht mehr regieren. Hoffentlich!

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