Angenommen, der Klimawandel würde sich nicht beschleunigen. Angenommen, es gäbe keine Pandemie, Russland hätte die Ukraine nicht überfallen, es gäbe keine Energiekrise, keine abgedrehten Gasleitungen. Angenommen also, man könnte als deutsche Bundesregierung das ganze Krisenknäuel entwirren, sich eine herausgreifen und die dann erledigen. Klar, die Polykrise dieser Jahre ist das absolute Gegenteil eines Wunschkonzertes, aber nur eine Sache: In den nächsten Jahren sollen, zum Beispiel, alle alten Heizkessel ausgebaut werden, die das Land nicht mehr braucht. Das, nur das, wegarbeiten. Alle ollen Klimakiller raus, Wärmepumpen rein. Prognose: Haut nicht hin. Grund: Keine/Keiner da, die/der den Job erledigen kann.
In Deutschland fehlen immer mehr Fachkräfte, hunderttausende. Das ist schon lange keine Nachricht mehr. Es ist seit Jahren klar, dass das so sein wird, Wirtschaftsvertreter weisen seit einer gefühlten Ewigkeit darauf hin. Aber so richtig Druck auf die Sache kommt in der Bundesrepublik erst, wenn die Deutschen in Massen nach dem Urlaub am Gepäckband des Flughafens stehen und sehr ungeduldig werden. Oder im Biergarten zu lange auf die Weißweinschorle warten müssen. Dabei wissen Menschen, die verzweifelt Pflegekräfte für ihre Eltern suchen, schon viel länger, wo wirklich Mangel herrscht.
Deutschland muss ein "attraktives Einwanderungsland" für Fachkräfte werden
Die Deutschen – wer auch immer das genau ist. Aber genau darum geht es: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Schon längst, mehr denn je. Die Ampel-Regierung hat mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass bisher nur Geduldete endlich neue Gelegenheiten bekommen. Das ist ein Anfang. Es wird mehr brauchen. Die FDP drängt zurecht mit ihrem Forderungskatalog darauf, dass Deutschland ein „attraktives Einwanderungsland“ werden muss. Jenseits dessen, was das im Detail im Einwanderungs- Asyl- und Arbeitsrecht bedeutet, stellt sich deshalb die Frage, warum Deutschland bisher nicht attraktiv genug für Zuwanderer ist?
Es gibt verschiedene Antworten auf diese Frage, aber eine lautet sicher: Es geht dabei entscheidend um das Selbstverständnis, um ein positives Selbstbewusstsein als Einwanderungsland. Inklusive einer neuen Willkommenskultur. Das unsägliche Gerede (auch in Kreisen, die die demokratische Arena nicht verlassen haben) von einer sogenannten „Leitkultur“, von sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“, von der Migration als „Mutter aller Probleme“ hat seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ nicht nur den politischen Diskurs demokratiegefährdend weit nach rechts verschoben (und AfD-Vokabular hoffähig gemacht), es hat vor allem dazu beigetragen, dass Einwanderer von vielen, die es besser wissen müssten, als Bedrohung wahrgenommen werden. Auch als Bedrohung für den eigenen Wohlstand.
Wir müssen Perspektiven bieten, denn andere Industrieländer brauchen auch Fachkräfte
Dabei ist doch das absolute Gegenteil für Deutschland richtig. Und für viele andere Industrieländer. Es wird - in Konkurrenz zu diesen - daher Überzeugungskraft und gute Integrationsperspektiven (für die ganze Familie) brauchen. Um einen der unsäglichsten Sätze auf den Kopf zu stellen, den – in diesem Fall – Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in die Welt gebracht hat: Es wäre in vielerlei Hinsicht hilfreich, wenn es nicht nur einen, sondern künftig viele fußballspielende, ministrierende Senegalesen gäbe, die gerne länger als drei Jahre bleiben. Denn sonst läuft der Laden hier nicht mehr.