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Kommentar: Der XXL-Bundestag ist teuer und träge

Kommentar

Der XXL-Bundestag ist teuer und träge

Rudi Wais
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    Der Bundestag muss kleiner werden. Aber nicht nach dem Modell der Ampel-Koalition.
    Der Bundestag muss kleiner werden. Aber nicht nach dem Modell der Ampel-Koalition. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Zu groß, zu teuer, zu schwerfällig: Mit seinen 736 Abgeordneten ist der Bundestag nicht nur eine finanzielle Zumutung für die Steuerzahler – auch die Qualität der parlamentarischen Arbeit leidet darunter. Durch das großzügige System der Überhang- und Ausgleichsmandate ziehen heute auch Kandidaten ins Parlament ein, die es Zuhause vermutlich kaum in den Kreistag schaffen würden. Vor allem bei den Grünen und den Sozialdemokraten sitzt inzwischen eine Garde aus Nachwuchspolitikern in den Fraktionen, deren Karrieren nur allzu häufig nach dem Prinzip „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“ verlaufen: ohne jede berufliche Erfahrung, ohne Verankerung im Wahlkreis, dafür aber bestens vernetzt in ihren Parteien.

    Natürlich soll der Bundestag jünger werden, weiblicher und die Breite der Gesellschaft abbilden. Mehr Abgeordnete aber bedeuten nicht zwangsläufig auch mehr Vielfalt oder gar mehr Expertise. Eine Reform des Wahlrechts mit einer deutlichen Reduzierung der Mandate ist daher überfällig. Im Moment ist nur noch ein Parlament größer als der XXL-Bundestag: der chinesische Volkskongress.

    Die Erststimme ist ein Eckpfeiler unseres Wahlrechts

    Der jüngste Vorschlag aus der Ampelkoalition, die Zahl der Abgeordneten strikt auf 598 zu begrenzen und damit auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz zu verzichten, legt nun allerdings die Axt an einen der Eckpfeiler unseres Wahlrechts – die Erststimme. Mit ihr wählen wir einen Menschen unseres Vertrauens, der unseren Wahlkreis in Berlin vertreten soll. Mit der Zweitstimme dagegen wählen wir eine Partei – ohne Einfluss darauf, wer am Ende über ihre Liste in den Bundestag einzieht. Ausgerechnet die wollen SPD, Grüne und FDP nun aber entwerten. Nach ihrem Modell kann ein Abgeordneter, sagen wir: der CSU, seinen Wahlkreis zwar gewinnen, trotzdem aber den Einzug in den Bundestag verpassen, weil Parteifreunde in anderen Wahlkreisen besser abgeschnitten haben. Dafür käme dann ein unterlegener Bewerber in seinem Wahlkreis zum Zuge, den die Wähler vorher mit einer dritten Stimme, der sogenannten Ersatzstimme, festgelegt haben.

    Rechnerisch mag das alles aufgehen, politisch ist der Vorschlag ein Unding, weil er keine Gerechtigkeit schafft, sondern neue Ungerechtigkeiten produziert. In der Stadt Augsburg zum Beispiel, hat der CSU-Mann Volker Ullrich bei der letzten Wahl mit 28,1 Prozent der Erststimmen das Direktmandat geholt. Nach der neuen Ampel-Logik aber würde er mit diesem Ergebnis den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, weil CSU-Kandidaten in anderen Kreisen besser abgeschnitten haben. An seiner Stelle würde die Grüne Claudia Roth das Direktmandat ergattern, obwohl sie fast acht Prozent weniger an Erststimmen geholt hat.

    Grüne und FDP haben bei der Wahlrechtsreform für den Bundestag leicht reden

    Grüne und Liberale haben damit kein Problem – sie holen kaum bzw. gar keine Mandate über die Erststimme. Für viele Menschen aber sind die direkt gewählten Abgeordneten die ersten Ansprechpartner vor Ort. Sie sind, wie es der frühere SPD-Chef Kurt Beck formulierte, „nah bei de Leut“ und nicht durch geschickte Parteiarbeit auf einem sicheren Listenplatz gelandet. Die Direktmandate nun in Mandate erster und zweiter Klasse zu trennen, dürfte nicht nur verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. Auch die Kluft zwischen Wählern und Gewählten würde so nur noch weiter vertieft. Ein Weg aus dem Dilemma könnte eine Begrenzung der Ausgleichs- und Überhangmandate bei einer gleichzeitigen Vergrößerung der Wahlkreise sein. Dann hat der neue Bundestag vielleicht keine 598 Abgeordneten, sondern 630. Aber auch das wäre schon ein Fortschritt.

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