Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Der Westen steht in Afghanistan vor den Trümmern seiner Politik

Kommentar

Der Westen steht in Afghanistan vor den Trümmern seiner Politik

Margit Hufnagel
    • |
    Eine afghanische Frau erhält in Kabul eine Lebensmittelration, die von einer südkoreanischen humanitären Hilfsorganisation verteilt wurde.
    Eine afghanische Frau erhält in Kabul eine Lebensmittelration, die von einer südkoreanischen humanitären Hilfsorganisation verteilt wurde. Foto: Ebrahim Noroozi, dpa

    Wer derzeit nach Afghanistan blickt – und es sind nicht mehr viele, die das tun – der wird nicht anders können, als dies mit Entsetzen und größter Fassungslosigkeit zu tun. Die Hoffnung, dass sich in dem Land am Hindukusch nach der Machtübernahme der Taliban doch alles nicht so dramatisch entwickeln würde, wie befürchtet, ist geplatzt wie eine Seifenblase. Innerhalb kürzester Zeit haben die radikalen Männerbünde die Gesellschaft zurück in die Steinzeit geführt. Mit Folgen, die noch kaum zu überblicken sind. Öffentliche Hinrichtungen, der Abbau grundlegender Menschenrechte, die Degradierung von Frauen zu bloßen Objekten: Die Überzeugung, dass die Gesellschaft sich in den vergangenen Jahrzehnten auch unter dem westlichen Einfluss so stark verändert hat, dass auch die Taliban nicht alles wieder rückabwickeln können, war falsch, ja naiv.

    Den Westen stellt das vor ein Dilemma. Denn glaubt er an seine eigenen Grundsätze der Entwicklungshilfe, darf er unter diesen Umständen nicht mehr zusammenarbeiten mit diesem Land. Zugleich ist wohl allen Beteiligten klar, dass dieses politische Statement Menschenleben kosten wird. Schon jetzt gehört Afghanistan zu den ärmsten Ländern dieser Welt, hängt am Tropf der internationalen Gemeinschaft. Bleiben die Hilfsgelder aus oder werden spürbar reduziert, werden Kinder sterben, Familien noch weiter an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt, Männer gezwungen sein, mit den Taliban zu kooperieren. Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze hadert noch, sie will sich international abstimmen. Doch egal, wie ihre Entscheidung ausfallen wird: Europa und Amerika stehen vor den Trümmern ihrer Afghanistan-Politik. Und wird daran auch nichts ändern können. Die politische Hilflosigkeit wird durch die Skrupellosigkeit der Islamisten zementiert.

    Die Taliban opfern lieber Menschen als ihre Ideologie

    Denn selbst mit Drohungen wird ihnen kaum beizukommen sein: Für die eigene Ideologie opfern sie lieber den ohnehin sehr bescheidenen Wohlstand der eigenen Bevölkerung. Dass sich Hilfsorganisationen reihenweise aus dem Land zurückziehen, dürfte sogar im Sinne der Taliban sein. Die – wenn auch langsame – Öffnung anderer islamischer Länder wie etwa Katar haben sie sich noch nie zum Vorbild genommen. Nach Jahrzehnten des Krieges und der Auseinandersetzung steht für sie eines ganz oben: die paschtunischen Traditionen. 

    Doch diese „Traditionen“ dürfen für die ausländischen Helfer kein Grund sein, mit Milde auf das Vorgehen am Hindukusch zu blicken. Am Ende wird es die bloße Macht des Faktischen sein, die sie zu Konsequenzen zwingt. Ohne Frauen, die in den Organisationen mitarbeiten, wird es keinen Zugang zu afghanischen Frauen geben. Fremde Männer werden keinen Zugang haben zu Familien, zu Mädchen. Der Einfluss wird damit immer weiter schwinden und sich irgendwann auf die Nothilfe beschränken müssen. Staatliche Akteure wie das deutsche Entwicklungsministerium werden ganz genau abwägen müssen, wie viele Millionen sie nach Kabul überweisen. Ohne zumindest den Hauch von Vertrauen wäre es geradezu fatal, ein System zu unterstützen, das in so krassem Widerspruch zu allem steht, von dem wir überzeugt sind – und dafür muss man noch nicht einmal „westliche“ Maßstäbe ansetzen. Es wird kaum eine andere Möglichkeit geben, als zu hoffen, dass die Taliban mit ihrer Politik keinen Erfolg haben. Doch auf einen schnellen Wandel sollte im glücklosen Afghanistan niemand hoffen. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden