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Kommentar: Der Sozialstaat stößt an seine Grenzen

Kommentar

Der Sozialstaat stößt an seine Grenzen

Rudi Wais
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    Eine Pflegerin geht mit einer Bewohnerin des Pflegeheims und einem Rollator über den Flur.
    Eine Pflegerin geht mit einer Bewohnerin des Pflegeheims und einem Rollator über den Flur. Foto: Tom Weller, picture alliance/dpa

    Unter Klimaforschern ist der Kipppunkt ein gängiger Begriff. Er beschreibt den Moment, von dem an eine Entwicklung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Einen

    Jeder dritte Euro fließt in Deutschland ins Soziale

    Leider verschließen die Ampelparteien vor der Wirklichkeit der wachsenden demografischen Verwerfungen und der weiter steigenden Abgaben noch immer die Augen. Ja, mehr noch: Mit dem um zwölf Prozent aufgestockten Bürgergeld und der geplanten Grundsicherung für Kinder bürden sie Steuer- und Beitragszahlern noch neue Lasten auf. Dabei addieren sich die verschiedenen Sozialleistungen schon jetzt auf rund 1,2 Billionen Euro im Jahr – das sind umgerechnet mehr als 30 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. 

    In guten Zeiten kann sich eine potente Ökonomie wie die deutsche das vielleicht noch leisten. Ein Land, das rapide an Wettbewerbsfähigkeit verliert und Wachstumsraten von einem Prozent schon als Erfolg feiert, kommt dem sozialen Kipppunkt jedoch immer näher. Finanzielle Lücken achselzuckend mit Beitragserhöhungen zu schließen, wie es die Ampel bei der Rente, den Krankenkassen und in der Pflege plant, löst keine strukturellen Probleme, sondern schafft nur neue – von der schwindenden Akzeptanz für einen immer teureren, aber immer weniger leistenden Sozialstaat ganz zu schweigen. 

    Wenn die Beiträge für die Sozialkassen wie teilweise schon prognostiziert von gegenwärtig 40 auf 50 Prozent des Bruttoeinkommens im Jahr 2050 steigen, sind die Folgen ja absehbar: noch mehr Schwarzarbeit, eine zunehmende Auswanderung junger, gut ausgebildeter Arbeitskräfte und am Ende noch höhere Abgaben. 

    Den Veränderungsfuror, den die Ampel im Klimaschutz oder beim gesellschaftspolitischen Umbau des Landes zeigt, lässt sie in der Sozialpolitik vermissen. Die gerade beschlossene Aktienrente? Nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Die versprochene Reform der unrentablen Riester-Rente? Lässt noch immer auf sich warten. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens, die Milliarden an Kosten sparen könnte? Kommt nur mühsam voran. Die Löcher in den Kranken- und Pflegeversicherungen? Stopft Gesundheitsminister Karl Lauterbach nur notdürftig. 

    Österreich hat den Kurswechsel bei der Rente gewagt

    Das kann man Realpolitik nennen oder Flucht aus der Verantwortung – für die Sozialpolitik jedenfalls sind die Ampel-Jahre verlorene Jahre. Dabei gäbe es Stellschrauben genug, an denen sie drehen könnte. Mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, zum Beispiel, würde die Kosten dämpfen. Wenn die Lebenserwartung steigt, muss mit ihr natürlich auch das Rentenalter steigen. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren ist auch deshalb kontraproduktiv und gehört abgeschafft. Die Pflegeversicherung stünde robuster da, würde sie stärker über den Kapitalmarkt finanziert – und was ist eigentlich mit den privilegierten Beamten? Kann denn nicht wenigstens deren nächste Generation Sozialbeiträge wie Arbeiter und Angestellte auch zahlen? Österreich hat das schon vor Jahren erzwungen und sein Rentensystem damit stabilisiert. 

    Ja, Deutschland ist noch immer ein reiches Land mit einem leistungsfähigen Sozialstaat. Die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit aber sind inzwischen erreicht. Nur wahrhaben will es niemand.

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