Nie wieder. Das haben wir Deutschen versprochen. Nie wieder sollten Menschen in unserem Land Angst wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens haben müssen. Wir konnten das Versprechen nicht halten. 20 Jahre ist es her, dass die Mörder des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ zum ersten Mal abdrückten. Enver Simsek war Türke. Er arbeitete als Blumenhändler. Seine Familie hatte sich gut integriert. Er wurde erschossen. Von Neonazis. Mitten in Nürnberg. Neun weitere Menschen starben in den folgenden Jahren, weil die rechtsextremistische Terrorbande den Ermittlern verborgen blieb. Haben die Sicherheitsbehörden daraus gelernt? Oder könnte eine solche Serie heute wieder passieren? Die bittere Wahrheit ist: vermutlich schon.
Zwei Jahrzehnte später sitzen Rechtsradikale in unseren Parlamenten und werfen rhetorische Brandsätze in gesellschaftliche Debatten. Neonazis ziehen grölend durch das Land. Rechtsextremisten schreiben Drohnachrichten und nennen sich NSU 2.0. Sie knüpfen ihre braunen Netzwerke, zum Teil sogar innerhalb der Polizei und der Bundeswehr. Und sie töten weiter. Der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke, der Angriff auf die Synagoge in Halle, das Blutbad von Hanau.
Der Hass auf Ausländer darf nicht relativiert werden
Natürlich ist Deutschland kein Land voller Ausländerhasser. Aber es gibt diesen Hass und wir dürfen ihn nicht relativieren. Zu lange haben Politiker rechtsextremistische Gewalt mit anderen Wahnsinnstaten „gegengerechnet“. Ja, Neonazis sind schlimm, aber was ist mit islamistischen Selbstmordattentätern oder zerstörungswütigen Linksradikalen? Diese Frage hört man bis heute in Talkshows. Als gäbe es ein imaginäres Fanatismus-Konto und solange nur unter dem Strich alles einigermaßen ausgeglichen ist, bestehe kein Grund zur Sorge, kein Grund zum Handeln. Welch ein Zynismus.
Wir müssen die Gefahren benennen, die wie ein Gift in unsere Gesellschaft sickern. Und wir müssen endlich damit aufhören, uns gegenseitig in Ecken zu drängen. Wer vor Neonazis warnt, findet es selbstverständlich nicht automatisch in Ordnung, wenn Linksextremisten ganze Straßenzüge in Brand stecken. Und wer gegen die Flüchtlingspolitik oder Corona-Einschränkungen der Regierung demonstriert, ist nicht automatisch ein gewaltbereiter Wutbürger, der es völlig okay findet, wenn Rechtsextremisten den Reichstag stürmen wollen. Gewalt bleibt Gewalt. Wahnsinn bleibt Wahnsinn, da gibt es kein richtig oder falsch. Aber es gibt ein Versprechen, das wir gegeben haben: Nie wieder. Dieses Versprechen muss ständig neu erfüllt werden. Das gilt für Polizei und Justiz, die extremistische Netzwerke – egal aus welcher Richtung – mit allen Mitteln entflechten und bekämpfen müssen, die der Rechtsstaat hergibt. Das gilt aber mindestens genauso sehr für jeden Einzelnen.
Radikale Positionen und Widerspruch gehören in eine Demokratie
Wir dürfen nicht schulterzuckend zuschauen, wie sich die Grenzen dessen, was unter dem Etikett der Meinungsfreiheit toleriert wird, immer weiter nach rechts verschieben. Selbstverständlich müssen wir Standpunkte aushalten und gelten lassen, die nicht auf Konsens aus sind. In einer Demokratie ist auch Platz für radikale Positionen, für harte Diskussionen. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu vertreten, ohne ausgegrenzt zu werden. Das bedeutet aber eben umgekehrt genauso, Widerspruch gelten zu lassen.
Und doch gibt es eine Grenze. Wer diese Demokratie zerstören will, wer Andersdenkende bedroht oder ihnen Gewalt antut, wer Minderheiten ihre Rechte abspricht, der darf keinen Zentimeter Raum bekommen. Nie wieder.
Lesen Sie dazu mehr:
- "NSU 2.0": Ex-Polizist festgenommen - Herrmann fordert harte Konsequenzen
- Claudia Roth: „Sexismus und Rassismus gehen Hand in Hand“
- Deutschland hat ein Problem mit den Ultra-Rechten
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.