Es gab einmal Zeiten in diesem Land, als es scheinbar immer aufwärts ging. Zwar in kleinen Schritten und dazwischen war immer auch mal ein halber Schritt zurück dabei, doch die Richtung stimmte. Auch wenn es noch Jahrzehnte dauern würde, so konnte man doch zu der Überzeugung kommen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in Deutschland nur eine Frage der Zeit sein würde. Jüngere Generationen lebten ganz selbstverständlich, was von ihren Vätern und Großvätern noch in Zweifel gezogen worden war. Junge Frauen wollten sich nicht mehr damit abfinden, dass ihnen vermeintlich Selbstverständliches vorenthalten werden kann. Der Feminismus erschien manchem kurz vor der Vollendung – ja, irgendwie überflüssig. Doch diese Hoffnung erwies sich als Trugschluss.
Unter der Oberfläche brodelt es, der Feminismus erfährt schwere Zeiten. Und das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass die Rechte von Frauen weltweit gerade einen schweren Stand haben. In den USA wurden strenge Abtreibungsgesetze erlassen, in Afghanistan dürfen Frauen kaum mehr eigene Entscheidungen treffen, in der Ukraine werden Vergewaltigungen als Mittel des Krieges eingesetzt, im Iran die Proteste mutiger Frauen niedergeknüppelt, weil die Mullahs ihre Macht in Gefahr sehen, wenn das Kopftuch von Studentinnen nicht richtig sitzt. Doch um die aktuelle Lage als schwierig einzuschätzen, braucht es gar nicht den Blick in andere Länder. In Deutschland greift ein Ton um sich, den man getrost als antifeministisch bezeichnen darf.
Viele Firmen suchen händeringend nach Frauen für Spitzenpositionen
Überraschend ist das nicht: Denn während es lange Jahre damit getan war, Symbolpolitik zu betreiben oder den Frauen kleine Nischen zu eröffnen, geht es inzwischen um ganz konkrete Veränderungen. Es reicht nicht mehr, eine Frauenquote auf freiwilliger Basis in ein hübsch formuliertes Konzept zu schreiben. Allein der Druck, dass es aus der Zeit gefallen scheint, Posten ausschließlich mit Männern zu besetzen, bringt Firmen inzwischen dazu, ganz gezielt nach Frauen Ausschau zu halten. Spätestens durch #metoo ist zudem im zwischenmenschlichen Bereich vieles in Bewegung geraten, übergriffiges Verhalten wird weniger erduldet. Das alles heißt aber auch, dass Männer die Folgen dieser Entwicklung spüren. Dass ihnen etwas weggenommen wird, das aus purer Gewohnheit ihnen zu gehören schien. Die Beharrungskräfte greifen dort, wo es wirklich um etwas geht.
Das Internet explodiert förmlich vor lauter Hass-Botschaften gegen Frauen. Im echten Leben wird Baerbocks Konzept der "feministischen Außenpolitik" pauschal verunglimpft und als Gedöns verlacht, ohne zu sehen, dass der Begriff "Frauenrechte" in vielen Ländern dieser Welt einfach nur ein anderes Wort für "Menschenrechte" ist. Wo Frauen und Minderheiten unterdrückt werden, da ist es auch sonst mit der guten Regierungsführung meist nicht weit her.
Feminismus-Debatte: In der Gesellschaft werden Nebelkerzen abgebrannt
Leider macht es die Gesellschaft den Anti-Feministinnen und Anti-Feministen derzeit leicht. Sie verliert sich in absurden Debatten über Gender-Sternchen, darin, ob Trans-Frauen "echten" Frauen die Listenplätze bei Landtagswahlen wegnehmen, verzettelt sich im grellen Streit über Wokeness (ein Wort, mit dem geschätzt mindestens die Hälfte der Bevölkerung nichts anfangen kann) und kulturelle Aneignung aufgrund von Dreadlock-Frisuren, schreit vom identitätspolitischem Terror und verkleidet sich als "Jetzt-erst-recht-Winnetou". Doch sich auf radikale Konzepte zu versteifen und mit akademischen Nebelkerzen allen die Sicht zu nehmen, die sich noch die Mühe machen, Theorie und Praxis miteinander abzugleichen, wird auf Dauer niemandem helfen.
Deutschland braucht den Feminismus, es braucht Feministinnen und Feministen, die für die Sache kämpfen und keine Schaugefechte austragen. Faire Chancen im Beruf, ein Kindergarten, der nicht um 13.15 Uhr seine Türen schließt, eine Bezahlung, die "Frauenberufe" nicht automatisch zu Jobs zweiter Klasse macht – die Gleichberechtigung hat noch einen weiten Weg vor sich. Machen wir uns nichts vor: Einfacher wird er nicht.