Der Fall Julian Assange ist aus juristischer Sicht ein schrilles Beispiel für Maßlosigkeit und ein Rechtsverständnis, das kalte Rache zum Prinzip erhöht. Seit 13 Jahren ist der 53-Jährige seiner Freiheit beraubt – bei einer Ausweisung in die USA drohen dem Wikileaks-Gründer, der auf Fotos wie ein gebrochener Mann wirkt, weitere zig Jahre in Haft. Die US-Regierung hat dem Whistleblower nicht verziehen, dass er schwerste Kriegsverbrechen ihrer Streitkräfte öffentlich gemacht hat – genau dies ist jedoch ein Verdienst dieses Mannes. Gleichzeitig blieben US-Soldaten, die Gräueltaten begangen haben, weitgehend straffrei.
Doch auch den Unterstützern von Assange sind die Maßstäbe verrutscht. Tatsächlich hat der Egoman mit der Art und Weise seiner Veröffentlichungen auch Informanten gefährdet. Er agierte als Aktivist, setzte Enthüllungen ein, um Politik zu machen. Je spektakulärer seine Erfolge, desto irrlichternder, intransparenter und selbstherrlicher steuerte er seine Plattform – ihn einen seriösen Journalisten zu nennen, ist abenteuerlich. Zum Helden taugt Julian Assange nicht. Und doch droht ein Dammbruch für den investigativen Journalismus, sollte Assange in den USA wegen Spionage verurteilt werden. Männer wie Donald Trump hätten ein neues Instrument in der Hand, unliebsame Medien auszuschalten.
Auch wenn seine Anhänger falschliegen, wenn sie ihr Idol mit Alexej Nawalny vergleichen, wirft die Jagd auf Assange einen Schatten darauf, wie auch westliche Demokratien bisweilen mit unbequemen Widersachern umgehen. Eine Auslieferung würde der Glaubwürdigkeit des Westens weiteren schweren Schaden zufügen.