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Kommentar: Dass Merz seine Macht geschickt nutzt, kann man ihm nicht vorwerfen

Kommentar

Dass Merz seine Macht geschickt nutzt, kann man ihm nicht vorwerfen

Rudi Wais
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    Bringt neuen Schwung in die Opposition: Friedrich Merz.
    Bringt neuen Schwung in die Opposition: Friedrich Merz. Foto: M. Kappeler, dpa

    Als Fan von Borussia Dortmund entschied Friedrich Merz sich für einen Vergleich aus der Sprache des Fußballs. Die Unionsfraktion, warnte ihr Vorsitzender die Kollegen von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, „ist nicht die Ersatzbank, von der Sie sich in beliebiger Weise mal Ersatzspieler aufs Spielfeld holen können, wenn Sie Ihre eigenen Mehrheiten nicht haben.“ Die Zustimmung der Union zum 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr knüpft Merz daher an eine Bedingung: Die 416 Abgeordneten der Ampel müssen alle dafür stimmen. Die 75 Stimmen, die noch zu der für eine Änderung des Grundgesetzes erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit fehlen, würden dann CDU und CSU beisteuern, allerdinge keine einzige mehr.

    Das hieße: Wenn auch nur ein SPD-Linker oder eine Grüne mit Nein stimmt oder sich enthält, weil er (oder sie) Rüstungsausgaben aus Prinzip ablehnt, wäre das Projekt gescheitert. Das kann man Erpressung nennen – oder einen cleveren Schachzug von Merz. Tatsächlich macht der neue Oppositionschef nichts anderes als seine Arbeit: Er testet, wie belastbar die Regierung in einer politisch brisanten Frage ist, und zwingt die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, Farbe zu bekennen, auch die Zweifler und Skeptiker in ihren Reihen. Und von denen gibt es eine ganze Reihe.

    Schröder musste 2001 die Vertrauensfrage stellen

    Wie schwer es ist, eine Regierung in Fragen von Krieg und Frieden zusammenzuhalten, hat schon Gerhard Schröder erfahren: im Streit um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr 2001 musste er als Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Etliche Abgeordnete von Grünen und SPD stimmten damals nur für den Einsatz, um ein Auseinanderbrechen der rot-grünen Koalition zu verhindern. Mindestens einem potenziellen Abweichler aus der

    Nicht ganz so ruppig, aber in der Sache nicht weniger hart, geht nun auch Merz vor – auch auf die Gefahr hin, als Sündenbock dazustehen, wenn die Koalition ihr Milliardenpaket nicht durch Bundestag und Bundesrat bekommt. Andererseits ist jede Regierung für ihre parlamentarische Mehrheit selbst verantwortlich. Reicht die nicht aus, etwa im Falle einer Grundgesetzänderung, muss sie mit der Opposition verhandeln, ihr Angebote machen, Kompromisslinien ausloten.

    Abgeordnete sind nur dem eigenen Gewissen verpflichtet

    Dass Merz die neue Macht, die er plötzlich hat, strategisch geschickt ausnutzt, kann man ihm nicht vorwerfen. In der Sache ist er ohnehin bei Olaf Scholz, der die Bundeswehr neu und nachhaltig ertüchtigen will. Aber soll die Union deshalb die Antimilitaristen und Friedensbewegten in den Fraktionen von SPD und Grünen aus ihrer Verantwortung entlassen? Dürfen die sich im Vertrauen, dass die Konservativen die fehlenden Stimmen schon liefern werden, einen schlanken Fuß machen und alleine auf ihr pazifistisches Gewissen berufen? Der Vorwurf, mit seinen Bedingungen für die Abstimmung entwerte er das freie Mandat, nach dem jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet ist, hat auf den ersten Blick zwar eine gewisse Logik. Im politischen Geschäft allerdings ist der Fraktionszwang seit jeher die Regel und nicht die Ausnahme.

    Nach vier Jahren, in denen die AfD die stärkste Oppositionsfraktion gestellt hat, hat Merz als Oppositionsführer neuen Schwung ins Parlament gebracht. In der Argumentation klar, im Ton häufig scharf, aber nicht so plump und verletzend wie seine Vorgängerin Alice Weidel, bietet er Olaf Scholz und seiner Koalition Paroli. Mit ihm sind die Generaldebatten im Bundestag keine müden Rituale mehr, sondern temperamentvolle Auseinandersetzungen um den richtigen politischen Kurs. Dass er in unruhigen Zeiten Opposition nicht um der Opposition willen betreiben darf, weiß natürlich auch Merz. Den Spielraum, der ihm noch bleibt allerdings, den darf er dann auch nutzen – und sei es mit unkonventionellen Vorschlägen wie der Kontingentierung von Stimmen.

    Scholz kann das nur recht sein. Eine Regierung ist nur so gut wie die Opposition, die sie kontrolliert.

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