Die türkische Regierung weiß genau, was sie tut. Obwohl der Europäische Menschenrechtsgerichtshof seit Jahren die Freilassung Osman Kavalas verlangt, obwohl der Europarat wegen des Falles ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei eingeleitet hat, und obwohl die türkischen Gesetze den Vorrang des europäischen Rechts festschreiben, ist Kavala zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Das Verfahren steht für den Abschied der Türkei von Europa
Der Präsident ordnet alles dem Ziel des nächsten Wahlsieges unter, auch die europäischen Perspektiven seines Landes. Nach dem Urteil vom Freitag droht der Ausschluss der Türkei aus dem Europarat und eine neue Eiszeit mit der EU. Der türkische Präsident ist nicht beunruhigt. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges erlebt er, wie er als potenzieller Vermittler in dem Konflikt von westlichen Politikern umworben wird. Während der Verkündung des Urteils gegen Kavala saß Erdogan mit UN-Generalsekretär Guterres zusammen.
Beschwerden über den Demokratie-Abbau in der Türkei sind verstummt. Möglicherweise setzt Erdogan darauf, dass Europa einknickt, dass der Europarat es nicht wagen wird, die Regionalmacht Türkei vor die Tür zu setzen. Vielleicht behält er damit sogar recht. Es wäre nicht das erste Mal, dass westliche Politiker die in Sonntagsreden beschworenen Werte von Demokratie und Menschenrechten ignorieren. Der Fall Kavala könnte von einem türkischen zu einem europäischen Trauerspiel werden.