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Kommentar: Das Triage-Urteil des Verfassungsgerichts ist ein klarer Auftrag an die Politik

Kommentar

Das Triage-Urteil des Verfassungsgerichts ist ein klarer Auftrag an die Politik

Stefan Lange
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    Das Wort Triage stammt vom französischen Verb «trier», das «sortieren» oder «aussuchen» bedeutet.
    Das Wort Triage stammt vom französischen Verb «trier», das «sortieren» oder «aussuchen» bedeutet. Foto: Hauke-Christian Dittrich, dpa (Symbolbild)

    Es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die in dieser Klarheit nicht erwartet worden war. Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen. Kein Wenn, kein Aber. Die Politik ist jetzt gefordert, sich Gedanken zu machen und zu handeln. Und zwar zügig, denn die in Karlsruhe verhandelten Fallbeispiele können jederzeit eintreten.

    Das Gericht hat es SPD, Grünen und FDP einfach gemacht und bereits einige Lösungsansätze in seine Entscheidung geschrieben. Leicht ist die Aufgabe deswegen nicht, aber sie ist lösbar. Die Regierungsparteien können dabei auf enorme Ressourcen zurückgreifen, den Ethik-Rat und andere Institutionen befragen.

    Zu denken gibt die Motivation, die hinter der Beschwerde von Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen steht. Es besteht bei ihnen, und das muss nichtbehinderte und gesunde Menschen tief betroffen machen, offenbar ein Misstrauen gegen Ärzteschaft und Gesetzgeber.

    Die Triage-Regeln greifen nicht nur in der Corona-Pandemie

    Es ist die Angst von Patientinnen und Patienten, dass sie im Stich gelassen werden, wenn im Notfall ein vermeintlich Leistungsfähigerer neben ihnen liegt. Man muss und sollte in diesem Fall nicht die unheilvolle jüngere deutsche Geschichte bemühen. Die Angst ist jetzt da und sie muss den Betroffenen jetzt genommen werden.

    Die Politik darf sich bei der Gesetzgebung nicht nur auf die Corona-Pandemie beschränken. In Notfällen, beispielsweise bei Verkehrsunfällen mit Dutzenden Toten und Verletzten, mussten Ärzteschaft und Pflegepersonal schon immer Entscheidungen über Leben und Tod treffen, bei denen sie schlimmstenfalls auf sich allein gestellt waren. Ein paar fein austarierte Leitlinien könnten ihnen die Triage in Zukunft leichter machen.

    Zu wenig Intensivbetten: Die Politik hat bereits vor Corona versagt

    Am Ende steht indes eine Erkenntnis, die leider nicht neu ist, die im Lichte der Karlsruher Entscheidung aber erneut wütend macht. Würde es genügend Intensiv-Betten und Personal in den Krankenhäusern geben, müsste niemand Angst haben, in einer Triage aussortiert zu werden. Für plötzliche extreme Notlagen wie einen Flugzeugabsturz mag das nicht gelten. Die Pandemie jedoch wütet schon seit zwei Jahren. Es war genug Zeit, die nötigen Kapazitäten zu schaffen. Das Gegenteil ist passiert: Intensivplätze wurden abgebaut, das medizinische Personal ist völlig erschöpft und kündigt scharenweise.

    Die Politik hat hier schon vor Corona versagt, sie hat während der Pandemie nicht gehandelt. Vielleicht hilft die Karlsruher Entscheidung dabei, dass jetzt endlich etwas passiert.

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