Der frei entscheidende Mensch und seine Würde stehen im Zentrum unserer Verfassung. Zu dieser Freiheit gehört, selbst über das Ende des eigenen Lebens entscheiden zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur Sterbehilfe diesem Recht wieder zur Geltung verholfen. Denn durch das Verbot der Sterbehilfe für Ärzte und Sterbehilfevereine war es ausgehöhlt.
Es zwang Schwerstkranke dazu, ihr Leiden bis zum letzten Atemzug zu ertragen und mitunter jämmerlich zugrunde zu gehen, weil Ärzte die Medikamente für ein sanftes Einschlafen nicht zur Verfügung stellen durften.
Das Verbot von Sterbehilfe brachte Ärzte und Patienten in eine schwierige Lage
Wer im finalen Moment nicht alleingelassen werden wollte, musste in die Schweiz gehen, um Leid und unerträglichen Schmerzen zu entgehen. Oder die Familie und enge Freunde einem enormen psychischen Druck aussetzen. Nur sie durften straffrei bei der Selbsttötung assistieren.
Der nun verworfene Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs drohte Medizinern und Sterbebegleitern eine Gefängnisstrafe von drei Jahren an, wenn sie Patienten beim letzten Gang an die Hand nahmen. Es störte auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, denn im Hinterkopf hatten die Mediziner immer, dass sie im Gefängnis landen könnten. Aus diesen Gründen und wegen des Menschenbildes unseres Grundgesetzes ist die Entscheidung der höchsten deutschen Richter richtig.
Sterbehilfe im Bundestag: Abgeordnete entschieden sich für falsches Gesetz
Der erst 2015 eingeführte Paragraf 217 sollte eine Sterbeindustrie verhindern, die es niemals gegeben hat. Diese Gefahr war seinerzeit erfolgreich an die Wand gemalt worden, um ein scharfes Gesetz zu bekommen. Aber niemand bringt sich leichtfertig um. Das Urteil aus Karlsruhe korrigiert auch einen logischen Widerspruch. Wenn der Freitod straffrei ist, warum sollte die Beihilfe dazu bestraft werden?
Die Parteien im Bundestag müssen nun rasch reagieren. Denn schon 2015 lagen andere Konzepte vor, die eine Sterbehilfe unter strengen Kriterien erlaubt hätten. Die Abgeordneten entschieden sich seinerzeit für das falsche Gesetz. Jetzt können sie ihre Entscheidung revidieren und Schwerstkranken den Abschied in Würde ermöglichen. Sie haben dabei die Unterstützung ihrer Wähler, die mit großer Mehrheit für die Hilfe zum Suizid sind, wenn ein Siechtum beendet werden kann.
Die Verfassungsrichter haben den Abgeordneten das Recht zugesprochen, die Bedingungen zu bestimmen, unter denen ein Leben beschlossen wird. Denn der Freitod soll einerseits nicht als normale Form des Sterbens erscheinen. Eine letzte Fahrt in ein Nachbarland andererseits aber kein Ausweg sein.
Sterbehilfe-Urteil: Nun muss der Bundestag reagieren - das sollte schnell gehen
Die Volksvertreter müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, diese sensiblen Kriterien aufzustellen. Dazu könnte zum Beispiel eine verpflichtende Beratung zählen, damit die Patienten ihre unumkehrbare Entscheidung intensiv reflektieren. Oder die Vorschrift, dass die Sterbehilfe kein Geschäft werden darf, sondern nur von Vereinen ohne Gewinnabsicht angeboten werden darf. Ärzte und Apotheker brauchen klare Regelungen, damit sie sich nicht strafbar machen.
Die deutsche Gesellschaft altert, die Zahl der Kranken wird steigen. Deshalb werden sich in den kommenden Jahren immer mehr Menschen die schwere Frage stellen, ob sie ihrem Leben ein Ende setzen sollen. Der medizinische Fortschritt ist schnell, aber dennoch zu langsam. Für diese Menschen, deren Leben zu einem bloßen Warten auf Erlösung wird, braucht es in Deutschland die Voraussetzungen, begleitet dem Dahinvegetieren zu entkommen. Die Verfassungsrichter haben das erkannt. Für den Bundestag ist das Urteil eine Mahnung.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.