Wo Politiker in die Wirtschaft wechseln, sieht die Republik aus guten Gründen genau hin. Ob Gerhard Schröder für Gazprom lobbyiert, der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla im Vorstand der Deutschen Bahn sitzt oder der ehemalige Gesundheitsminister Daniel Bahr auf einem Spitzenposten bei der Krankenversicherung der Allianz: Engagiert werden Ex-Kanzler oder Ex-Minister nicht wegen ihrer erstklassigen Ausbildung oder ihrer Expertise, sondern weil sie einen Namen haben, ein dicht geknüpftes Netz an Kontakten und weil sie ihren Auftraggebern Türen in der Politik öffnen, die diesen sonst womöglich verschlossen blieben.
Die Grünen sind da nicht anders als andere Parteien – auch wenn sie immer besonders laut nach Transparenz und Distanz rufen. Ihr Jungstar Matthias Berninger, als Staatssekretär im Agrarressort für Ernährungsfragen zuständig, wechselte einst zum Lebensmittelriesen Mars, die frühere Parteichefin Gunda Röstel verdingte sich bei einer Tochter des Energieriesen Eon, und der Urgrüne Rezzo Schlauch wurde Mitglied im Beirat des Stromversorgers Enbw – auch er ein Konzern, der sein Geld mit der verpönten Atomkraft verdient. Weitere Beispiele gefällig? Die frühere Vorsitzende Simone Peter steht heute dem Bundesverband erneuerbare Energie vor – und die ehemalige Abgeordnete Kerstin Andreae führt inzwischen die Geschäfte des mächtigen Verbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, dem auch RWE und Eon angehören.
Immer mehr Grüne stehen im Lobbyregister - doch Lobbying erreicht jetzt einen Höchstwert
Im Lobbyistenregister des Bundestages stehen so immer mehr Namen von langjährigen Grünen-Politikern. Mit dem Wechsel der Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan ins Auswärtige Amt erreicht das Lobbying nun allerdings einen neuen Höchstwert auf der Befremdlichkeitsskala. Das liegt nicht nur daran, dass die Amerikanerin mit Wohnsitz Berlin eigens eingebürgert werden soll, damit sie als Staatssekretärin auch verbeamtet werden kann. Die brisante Personalie ist offensichtlich Teil eines groß angelegten Revirements, mit dem grüne Aktivisten gezielt an die Schaltstellen der neuen Regierung befördert werden – eine Interessenvertretung der umgekehrten Art, bei der nicht Politiker in Konzerne oder Verbände wechseln, sondern Öko-Lobbyisten in die Politik. Entsprechend groß dürfte ihr Einfluss auf die Arbeit der Ampel sein.
So sitzt der Mitbegründer der globalisierungskritischen Organisation Attac, Sven Giegold, inzwischen ebenso als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium wie der bisherige Leiter der grün angehauchten Denkfabrik Agora Energiewende, Patrick Graichen. Um zu verstehen, was das heißt, stelle man sich nur vor, der CSU-Mann Andreas Scheuer hätte als Verkehrsminister einen Lobbyisten aus der Automobilindustrie zum Staatssekretär gemacht – die Grünen hätten als erste mit dem Finger auf ihn gezeigt.
Türöffner für Interessenvertreter: Die Grünen beweisen Doppelmoral
Dass an die Spitze der Bundesnetzagentur, einer wichtigen Regulierungsbehörde, mit dem Ex-Minister Klaus Müller ebenfalls ein Grüner rückt, passt dazu wie die berühmte Faust aufs Auge: In der Energiepolitik zählt für die Grünen nur grün pur. Natürlich hat bisher noch jeder Minister Parteifreunde um sich geschart. Bei den Grünen aber stehen moralischer Anspruch und politische Realität in einem besonders krassen Gegensatz: Die Partei, die den Einfluss von Interessensvertretern bisher am drastischsten beschneiden wollte, öffnet nun eben jenen Interessenvertretern die Türen in „ihre“ Ministerien. Das kann man für ein Zeichen ausgeprägten Machtbewusstseins halten, für eine politische Dreistigkeit einfach nur für eine etwas bigotte Doppelmoral. Ihre Unschuld aber haben die Grünen jetzt endgültig verloren.