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Kommentar: Das kommt davon: Die große Ernüchterung nach dem Brexit

Kommentar

Das kommt davon: Die große Ernüchterung nach dem Brexit

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    Eine Britische Fahne weht vor dem berühmten Uhrenturm Big Ben in London.
    Eine Britische Fahne weht vor dem berühmten Uhrenturm Big Ben in London. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die Sieben-Jahre-Regel ist ein beliebtes Thema für Small Talk. Nach diesem Zeitraum, heißt es dann gerne mal, ändere sich der Körper und das Wesen eines Menschen. Etwas mehr als sieben Jahre, nachdem die Mehrheit der Bürger im Königreich bei einem Referendum für den Ausstieg aus der EU gestimmt hatten, erkennen offenbar auch viele Briten ihr damaliges Ich nicht mehr wieder.

    Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov ergab, dass mehr als ein Drittel derjenigen, die damals „Leave“ wählten, den Brexit nun für einen Misserfolg halten. Dabei ist es ein wenig wie das Erwachen nach einer durchzechten Nacht: Es herrscht Katerstimmung. Schließlich waren mit dem Brexit viele Versprechen verbunden. Befreit von den bürokratischen Fesseln der EU sollte das Land besser verwaltet, sicherer und wohlhabender werden. So versprach Ex-Premier Boris Johnson Millionen von Pfund, welche man angeblich in Brüssel verprasste, stattdessen in das staatliche Gesundheitssystem NHS zu investieren. Von einem Aufblühen des Gesundheitswesens kann jedoch keine Rede sein, im Gegenteil.

    Der Brexit hat sich sehr negativ auf den Handel mit der EU ausgewirkt

    Weil viele Krisen gleichzeitig stattfinden, ist es für Ökonomen zwar schwierig, die exakten Auswirkungen des Brexits in Zahlen auszudrücken. Doch in einer Sache sind sie sich einig: Der Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt hat sich ganz klar negativ auf den Handel mit der EU ausgewirkt. Dafür verantwortlich sind insbesondere die hohen bürokratischen Hürden im Zusammenhang mit Zollkontrollen, der Papierkram also. Überdies sind nach dem Brexit die Investitionen im Vereinigten Königreich gesunken. Der Grund: Unternehmen, die das Land einst für den Eintritt in den europäischen Binnenmarkt nutzten, sind schlicht abgewandert. Damit folgten sie den Regeln des globalen Kapitalismus; Regeln, die die Befürworter des Brexits, von der Idee der neuen Freiheit benebelt, offenbar nicht wahrhaben wollten. 

    Die niedrigeren Investitionen führten wiederum zu einem Milliardenverlust von Steuereinnahmen und damit einem Rückgang an verfügbaren Mitteln unter anderem für den NHS; und damit zum Gegenteil dessen, was versprochen wurde. Der Brexit hat überdies eindeutig zu einem Mangel an Arbeitskräften im Vereinigten Königreich geführt. Davon betroffen sind viele Branchen: die Gastronomie beispielsweise, aber auch Landwirte, die Gemüse anbauen und dementsprechend auf Erntehelfer angewiesen sind. Weil viele EU-Ausländer wegen des Brexits gegangen waren und nun gar nicht mehr erst kommen, verrotteten trotz einer von der Regierung kurzfristig ins Leben gerufenen Initiative für Kurzzeitvisa im vergangenen Jahr auf britischen Feldern Obst und Gemüse im Wert von umgerechnet 25 Millionen Euro. Und: Landwirte mussten die Löhne erhöhen, um Personal anzulocken, wodurch die Preise für Tomaten und Co. noch weiter in die Höhe getrieben wurden.

    Keine Gurken mehr in den Supermarkt-Regalen in Großbritannien

    Die Handelshemmnisse verstärken die Inflation. Besonders anschaulich wurde dies im Frühjahr dieses Jahres, als Gurken und Paprika zeitweise fast völlig aus den Regalen britischer Supermärkte verschwanden, weil es zu Dürren in Spanien und Marokko gekommen war und die Briten auf die Schnelle keine alternativen Zulieferer gefunden hatten. Der Handel mit der Insel ist durch den Brexit unflexibel und damit teurer geworden.

    Während in den Ländern des Staatenbundes die Inflation auf dem Rückzug ist, stieg sie in Großbritannien im Mai um 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In einem Land, in dem knapp sechs Millionen Menschen Mahlzeiten auslassen, weil sie sich Lebensmittel nicht mehr leisten können, erhöht dies den Grad der Verzweiflung. Das nun ist allerdings alles andere als ein Thema für Small Talk.

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