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Kommentar: Das iranische Mullah-Regime wiegt sich in trügerischer Sicherheit

Kommentar

Das iranische Mullah-Regime wiegt sich in trügerischer Sicherheit

Simon Kaminski
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    Der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in Polizeihaft vor genau einem Jahr setzte einen revolutionären Prozess im Iran in Gang.
    Der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in Polizeihaft vor genau einem Jahr setzte einen revolutionären Prozess im Iran in Gang. Foto: Uncredited, AP/dpa

    Der Tod einer jungen Frau stand am Anfang eines Aufbruchs. Jina Mahsa Amini wurde vor genau einem Jahr gewaltsam festgenommen, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll. Sie starb in Haft. Eine Nachricht, die im Iran die heftigsten Proteste seit Jahrzehnten auslöste.

    Jetzt schaut die Welt auf eben diesen 16. September. Was wird auf der Straße geschehen? Wird die Opposition unübersehbare Zeichen dafür setzen, dass die siegesgewissen Statements des Mullah-Regimes verfrüht waren? Die Protestbewegung dürfte sich sehr genau überlegen, ob sie just an diesem aufgeladenen Jahrestag Massenkundgebungen riskiert, wenn Zehntausende Polizisten und paramilitärische Schergen der Regierung bereitstehen. 

    Die Gründe für die Proteste im Iran bleiben aktuell

    Die Gründe, die zu Demonstrationen und einer Welle zivilen Ungehorsams führten, bleiben aktuell: Unterdrückung, Korruption und ein wirtschaftlicher Niedergang, der immer mehr Iranerinnen und Iraner in die Armut stürzt. 

    Dennoch ist es dem Regime gelungen, ein Auseinanderbrechen der Machtstrukturen zu verhindern und Massenproteste mit Drohungen, Festnahmen und brutaler Gewalt zu unterbinden. Was hält das Regime zusammen? Einmal die Schicht, die sich mit der Diktatur arrangiert hat und gut in ihr lebt. Dann die gefürchteten Revolutionsgarden, die sich längst von einer Miliz zu einem wirtschaftlichen und politischen Faktor gemausert haben, die auch ein gewichtiges Wort mitreden werden, wenn es um die Nachfolge des greisen Revolutionsführers Ali Chamenei gehen wird. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Angst vieler Menschen, in einem Folterkeller der Sicherheitsbehörden zu landen. 

    Doch gerade viele Frauen scheinen ihre Furcht zu überwinden. Sie weigern sich, ihre Haare, ihr Gesicht zu verhüllen. Diese Widerständigkeit macht den Herrschenden Angst, was sie wiederum zu noch brutaleren Restriktionen greifen lässt. Es ist fast surreal, wie sich der Konflikt auf den Hijab zuspitzt. Ein Gesetzeswerk von fast 80 Paragrafen mit absurden Strafandrohungen wurde eigens geschaffen, um die Frauen zur Räson zu bringen – ein juristisches Monstrum, das das Regime gewissermaßen entschleiert, demaskiert. 

    Berichte aus dem Iran zeigen, dass dennoch immer mehr Frauen ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Was die Regierung dazu treibt, weiter zu eskalieren, um nicht als Verlierer dazustehen. Die Dynamik haben auch die Gegner des Regimes erkannt: „Endet die Herrschaft über den Frauenkörper, endet ihre Herrschaft insgesamt“, diese Zeilen eines Briefes der im ganzen Land bekannten Regierungsgegnerin und Feministin Nagres Mohammadi gelangten aus der Haftanstalt, in der die Dissidentin derzeit einsitzt. 

    Die Enttäuschung über mangelnde Unterstützung des Westens ist groß

    Immer größer ist die Enttäuschung der Protestbewegung über mangelnde Unterstützung aus dem Westen. Zurecht. Denn die Bekenntnisse für die Freiheitsbewegung wirken halbherzig. Die USA schicken sich nun im Zuge eines Gefangenenaustausches an, die Freigabe von einem im Ausland eingefrorenen Vermögen des iranischen Staates in Höhe von sechs Milliarden Dollar zu ermöglichen. Der Deal ist aus humanitärer Sicht verständlich, signalisiert aber, dass Teheran weiterhin Erfolg mit seiner Erpressungsstrategie hat. 

    Das Regime wird sich über diesen Erfolg freuen. Doch die Mullahs sollten sich nicht täuschen. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Protestbewegung erreicht hat, sind unumkehrbar – ihre Zeit wird kommen. 

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