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Kommentar: Das Grauen von Butscha darf nicht ohne Konsequenzen bleiben

Kommentar

Das Grauen von Butscha darf nicht ohne Konsequenzen bleiben

Margit Hufnagel
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    Ukraine-Krieg – Butscha
03.04.2022, Ukraine, Butscha: Ukrainische Soldaten inspizieren die Trümmer einer zerstörten russischen Panzerkolonne auf einer Straße in Butscha, einem Vorort nördlich der Hauptstadt. Während sich die russischen Truppen aus den Gebieten nördlich der ukrainischen Hauptstadt zurückziehen, bezeichnen ukrainische Beamte die schweren zivilen Opfer, die in der Stadt Butscha gefunden wurden, als vorsätzliches Kriegsverbrechen, was internationale Verurteilungen nach sich zieht. Foto: Matthew Hatcher/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
    Ukraine-Krieg – Butscha 03.04.2022, Ukraine, Butscha: Ukrainische Soldaten inspizieren die Trümmer einer zerstörten russischen Panzerkolonne auf einer Straße in Butscha, einem Vorort nördlich der Hauptstadt. Während sich die russischen Truppen aus den Gebieten nördlich der ukrainischen Hauptstadt zurückziehen, bezeichnen ukrainische Beamte die schweren zivilen Opfer, die in der Stadt Butscha gefunden wurden, als vorsätzliches Kriegsverbrechen, was internationale Verurteilungen nach sich zieht. Foto: Matthew Hatcher/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Sopa Images Via Zuma Press Wire / Matthew Hatcher / Matthew Hatcher

    Wäre die Situation nicht so tragisch, müsste man den Zynismus kübelweise über dem Kanzleramt, ach was: über dem gesamten bundespolitischen Politbetrieb ausgießen. Ausgerechnet der Weltmeister der moralischen Überheblichkeit gerät mit seiner Haltung gegenüber Russland immer stärker in die Defensive. Weiß Deutschland sonst bei anderen Nationen immer ganz genau, was richtig und was falsch ist, verbarrikadiert es sich jetzt in einer Floskel-Wolke.

    Mit einer beschämenden Mutlosigkeit kommentieren die Verantwortlichen die Kriegsverbrechen, die Putins Armee in der Ukraine angerichtet hat. Geradezu selbstverliebt wird wie eine Art Mantra der Begriff der „Zeitenwende“ in jeden zweiten Satz eingebaut. Aber: Mit Worten allein ist es nicht getan. Nicht in einer Zeit, in der es sich ein machtbesessener Tyrann zum Ziel gesetzt hat, ein anderes Land nicht nur zu erobern, sondern geradezu zu vernichten.

    Was in Butscha passiert, passiert auch in anderen Städten

    Wer die Bilder aus Butscha sieht, muss wissen: Das, was in diesem Ort geschehen ist, ist keineswegs einmalig – es ist die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Menschen, die offenbar von ihrem Fahrrad geschossen wurden. Männer mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Ausgebrannte Fahrzeuge von Familien auf der Flucht. 340 Leichen wurden bislang geborgen. Die Gräueltaten lassen erahnen, was auch in Mariupol, in Cherson und anderen Städten der Ukraine angerichtet wird oder längst angerichtet wurde.

    Das, was Experten nüchtern einen „schmutzigen Krieg“ nennen, ist hier in der Praxis zu beobachten. Mit Butscha wird Gewissheit, was der Westen eigentlich längst hätte wissen müssen: Russland hat sich endgültig aus der Reihe der zivilisierten Staaten verabschiedet, wer nicht wirklich alles tut, um sich von diesem Regime maximal zu distanzieren, handelt zumindest fahrlässig. Egal, wie sich die deutsche Politik in den kommenden Tagen positionieren wird: Eine wie auch immer aussehende Normalisierung der Beziehungen zum Kreml wird es auf absehbare Zeit kaum geben – auch, wenn noch immer Teile der Regierungsparteien darauf zu hoffen scheinen. Die Wahrheit ist: Selbst, wenn die Waffen eines Tages schweigen sollten, ist dieser Krieg so schnell nicht zu Ende. Mit immer neuen Nadelstichen wird Wladimir Putin versuchen, seine Wahnvorstellungen einer neuen, russisch geprägten Welt in die Tat umzusetzen.

    Wladimir Putin, Präsident von Russland, hat im Kreis der zivilisierten Staaten nichts mehr verloren.
    Wladimir Putin, Präsident von Russland, hat im Kreis der zivilisierten Staaten nichts mehr verloren. Foto: Mikhail Klimentyev, Kremlin, dpa

    Wie sehr dieser Konflikt die Welt in ein „vorher“ und „nachher“ teilen wird, scheinen noch nicht alle voll umrissen zu haben. Dem Kreml ist es gelungen, eine regelbasierte Weltordnung (mit all ihren Schwächen) zu pulverisieren und allein das Streben nach Macht in den Mittelpunkt zu stellen. Deshalb darf es keine Kooperation mehr geben. Politik und Wirtschaft müssen dringend einen gemeinsamen Weg finden, wie das gelingen kann, ohne Deutschland in den wirtschaftlichen Abgrund zu stürzen. Keine Frage: Das ist ein Kraftakt, ohne Wohlstandsverluste wird es kaum zu machen sein. Doch wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt für einen Schulterschluss gekommen? Ganz umsonst wird Deutschland ohnehin nicht aus dieser Nummer rauskommen: Das Land wird für seine eigene Sicherheit, für die europäische Sicherheit eine Rechnung bekommen – egal, wie jetzt die Entscheidung ausfällt. Diese Erkenntnis scheint sich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern viel stärker durchgesetzt zu haben als bei der Regierung.

    Deutschland muss mehr Waffen in die Ukraine liefern

    Und auch die Frage nach Waffenlieferungen braucht einen neuen Anlauf. Nur dem Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer ist es überhaupt zu verdanken, dass Putin auf so viel Widerstand stößt. Sie müssen nun mit schweren Waffen ausgerüstet werden, die Möglichkeiten sind noch längst nicht erschöpft. Dass es im Kanzleramt die Sorge gibt, dass die militärische Situation damit weiter eskaliert, ist verständlich. Doch viel wahrscheinlicher ist, dass sich Wladimir Putin vom Zaudern des Westens eher noch ermutigt fühlen dürfte, seinen Feldzug fortzusetzen. Das Grauen von Butscha darf nicht folgenlos bleiben.

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