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Kommentar: Corona-Politik: Augen zu und durch? Das ist keine Lösung

Kommentar

Corona-Politik: Augen zu und durch? Das ist keine Lösung

Daniel Wirsching
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    Stäbchen auspacken und lutschen, was das Zeug hält: In vielen Augsburger Kitas werden die Kinder bereits mittels PCR-Poolverfahren auf das Coronavirus getestet.
    Stäbchen auspacken und lutschen, was das Zeug hält: In vielen Augsburger Kitas werden die Kinder bereits mittels PCR-Poolverfahren auf das Coronavirus getestet. Foto: David Holzapfel

    Vieles lässt sich vernünftig begründen. Doch wenn es um die Bekämpfung des Coronavirus geht, wird die Vernunft häufig von Gefühlen verdrängt. Nach zwei Pandemiejahren ist nun eine hochproblematische Dazwischen-Phase erreicht – eine Phase zwischen Vorsicht und Lockerung. Und „das Gefühl“ nicht weniger Menschen ist: Das kann nicht wahr sein!

    Lockerung bei hohen Corona-Fallzahlen stößt bei vielen auf Unverständnis

    Und zwar, dass angesichts täglich neuer Höchst-Inzidenzwerte gelockert wird. Dass entgegen der Beteuerungen von Politikerinnen und Politikern das Wirrwarr an Maßnahmen immer undurchdringlicher wird. Dass die Impfbereitschaft sinkt. Dass die Kontaktnachverfolgung weitgehend eingestellt wurde. Dass PCR-Tests knapp sind. Dass die Datenbasis, auf deren Grundlage Maßnahmen beschlossen werden, drastisch an Aussagekraft verliert. Dass vor allem junge – ungeimpfte – Kinder und deren Eltern wieder einmal durchs Raster fallen. Diese können gar nicht anders, als den Eindruck zu gewinnen, dass man sie und ihre Kinder sich selbst überlässt – aufgefangen nur vom Engagement von Erzieherinnen oder Lehrkräften, die Entscheidungen ebenso wie sie kurzfristig ausbaden müssen.

    In manchen Bundesländern wurde jetzt die Präsenzpflicht an Schulen ausgesetzt: Eltern können entscheiden, ob sie ihre Kinder zuhause lassen. Das klingt zunächst nicht schlecht. Allerdings müssen sie damit zwischen dem Schutz vor Infektion (und Folgen wie Long Covid) und der Wichtigkeit von Bildung und sozialen Kontakten abwägen. Denn der legitime Anspruch, Schutz und Bildung zu gewährleisten, ist in der Vergangenheit flächendeckend an der Realität gescheitert.

    Deutschland scheint vor dem Virus kapituliert zu haben

    Deutschland, dieses Maßnahmen-Fleckerlteppich-Land, scheint vor dem Virus kapituliert zu haben. Vom „Team Vorsicht“ wechseln Politikerinnen und Politiker ins „Team Laufen lassen“: Augen zu und durch. Ohne es hinreichend und nachvollziehbar zu erklären, greift de facto bereits eine „Durchseuchungsstrategie“. Allen voran in Kitas, in denen seit wenigen Wochen in Bayern eine "Testnachweispflicht" gilt, der zufolge Eltern Selbsttests bei ihren Kindern durchführen müssen. Ausreichend Kontrolle und Schutz vor einer Infektion ist damit nicht gewährleistet. Und auch hier: Eltern und Einrichtungen werden sich selbst überlassen.

    Seit Pandemiebeginn geht es um die Gefühls- und Gedankenwelt von Verschwörungsgläubigen, Coronaleugnern, Impfgegnern, gewaltbereiten „Spaziergängern“ oder Rechtsextremen, die die Corona-Krise als Ventil für ihren Hass auf Staat, Politik oder Medien nutzen. Um die Gefühlslage der bislang vernünftig handelnden Mehrheit von Menschen, die nach wie vor nach Kräften versucht, sich und andere zu schützen, geht es kaum. Das könnte ein riesiges Problem werden – wenn diese Mehrheit nicht länger bereit sein sollte, sinnvolle Maßnahmen mitzutragen. Weil ja „eh alles egal“ zu sein scheint. Populisten warten nur darauf.

    Die Deutschen sollten mehr als auf einen „Freedom Day“ auf gesellschaftlichen Frieden hoffen

    Deutschland ist coronamüde, ja. Aber der Wunsch, die Pandemie möge ein Ende haben, darf nicht dazu führen, Warnungen aus Wissenschaft und Medizin zu überhören. Es ist nicht ausgemacht, dass Omikron in die Endemie führt. Delta könnte zurückkommen, andere Virusvarianten entstehen. Eine „Durchseuchung“ wird und darf es geben. Doch anders als etwa Dänemark sei Deutschland noch nicht soweit, erklären Expertinnen und Experten unter Verweis auf Impfquote und Altersstruktur.

    Die Deutschen sollten sich davon leiten lassen. Und sie sollten mehr als auf einen „Freedom Day“ auf gesellschaftlichen Frieden hoffen. Der ist nämlich akut und auf lange Sicht bedroht, wenn die Gräben, die in der Corona-Krise entstanden sind, sich weiter vertiefen.

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