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Kommentar: Lambrechts Rückzug aus vermintem Gebiet ist der einzig logische Schritt

Kommentar

Lambrechts Rückzug aus vermintem Gebiet ist der einzig logische Schritt

Stefan Lange
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    Lambrechts Rückzug aus vermintem Gebiet ist der einzig logische Schritt
    Lambrechts Rückzug aus vermintem Gebiet ist der einzig logische Schritt Foto: Michael Kapperler, dpa

    Bei der Regierungsbildung vor gut einem Jahr wollte keine Partei das Verteidigungsministerium haben. Der Bendlerblock schleppt viele Altlasten mit sich herum. Modernität und Traditionsbewusstsein, Zivilisten und Uniformierte müssen unter einen Hut gebracht werden - das Verteidigungsressort lässt seiner jeweiligen Führung kaum Raum zur Profilierung. Christine Lambrecht übernahm den Posten in der immer noch männerdominierten Truppe trotzdem und stand praktisch vom ersten Tag an in der Kritik. Nun wird sie hinschmeißen. Ihr Rücktritt war absehbar, gleichzeitig wirft er ein schlechtes Licht auf den Politikbetrieb. 

    Sie sei nicht vom Fach, hieß es, als Lambrecht den Job übernahm, und schon das war verlogen. Ihre Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) war es auch nicht, sie hatte im Gegensatz zur ehemaligen Justizministerin Lambrecht nicht einmal Erfahrung als Bundesministerin. Selbst der als beliebtester Verteidigungsminister aller Zeiten geltende Peter Struck war fachfremd, der verstorbene SPD-Politiker hatte keinen Wehrdienst geleistet. 

    In der Corona-Pandemie bewies Christine Lambrecht Übersicht

    Dass Lambrecht im Justizressort während der Corona-Pandemie einige Übersicht bewiesen und beispielsweise schon früh die Rückgewährung von Freiheitsrechten angemahnt hatte, war schnell vergessen. Stattdessen wurde sie verlacht, weil sie 5000 Helme für die Ukraine ankündigte, wo doch andere schon längst schwere Waffen forderten. Zu wenig Munition für die Truppe? Natürlich war Lambrecht Schuld. 

    Dabei war vielen klar, dass die SPD-Politikerin gar nichts dafür konnte. Das Beschaffungswesen der deutschen Armee gleicht schon seit Jahrzehnten einem Schlachtfeld, das zu befrieden viel Mühe erfordert. Lambrecht hatte bereits mit dem Aufräumen angefangen, sie wechselte zum Amtsantritt Teile der Führungsebene im Verteidigungsministerium aus. Mutige Reformschritte waren eingeleitet, nur anerkennen wollte es keiner. 

    Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wirft hin und tritt von ihrem Posten zurück.
    Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wirft hin und tritt von ihrem Posten zurück. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Lambrecht wurde vom Einmarsch der Russen in die Ukraine genauso überrascht wie viele andere in der Politik. Sie jedoch sollte von Tag eins an Antworten parat haben. Die Juristin tat es nicht, hielt sich zurück, auch aus der berechtigten Sorge heraus, dass Deutschland in Putins Augen Kriegspartei wird. Kanzler Scholz stülpte ihr die Gestaltung der „Zeitenwende“ über, eine Aufgabe, die für sich allein schon eine enorme Herausforderung ist.

    Lambrecht zieht mit ihrem Rücktritt die Reißleine

    Lambrecht wurde angesichts der Herausforderungen nicht hektisch, sondern arbeitete eine Aufgabe nach der andere ab. Als Sturheit wurde ihr dieses Verhalten ausgelegt, ehrlicherweise war es das einzig logische, weil konsequente Vorgehen in dieser Lage. Klar, es passierten ihr Fehler. Der Hubschrauberflug mit dem Sohn etwa und zuletzt das Instagram-Video in der Silvesternacht. Sofort empörten sich die vermeintlich Aufrechten dieser Nation, Spott ergoss sich über eine Ministerin, deren Arbeitsleistung in der Bewertung überhaupt keine Rolle mehr spielte.

    Die Vorfälle waren unglücklich, aber nicht unrechtmäßig. Und mal ehrlich: Wenn sich Politiker in der Vergangenheit in peinlichen Machoposen zeigten, Frauen antatschten oder sich mit teurem Anzug und riesiger Zigarre fotografieren ließen, zog das keine Rücktrittsforderungen nach sich. Bei einer Frau sieht das anders aus, in Wahrheit spielt auch das in diesem Fall eine große Rolle.

    Lambrecht hat so lange durchgehalten, wie sie konnte. Aus Solidarität zur Partei und ihrem Kanzler, aus Achtung vor dem Amt und in der Gewissheit, dass ein Rücktritt inmitten des Ukraine-Krieges eigentlich nicht in Frage kommt. Doch jetzt wurde es selbst Lambrecht zu viel. Häme und Verachtung machten selbst vor ihrer Familie nicht mehr halt. Die Ministerin zieht die Reißleine. Sie tut recht daran.

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