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Der Umbau der Landwirtschaft stockt. Doch der Klimawandel wartet nicht. Und wenn die Ukraine in den Binnenmarkt kommt, droht ein böses Erwachen.
Immerhin: Die Traktoren fahren jetzt wieder über die Felder und nicht durch die Innenstädte. Bald läuft die Getreideernte auf Hochtouren, da kann auf keine Arbeitskraft und keine Maschine verzichtet werden. Aber die Ruhe trügt. Berlin und Brüssel haben mit einer Reihe von Sofortmaßnahmen versucht, die Wut der Bauern zu ersticken. Ob das gelungen ist, darf angezweifelt werden.
18 Prozent der Landwirte haben bei der Europawahl für die AfD gestimmt. Das sind drei Prozent mehr, als die in Teilen rechtsextreme Partei, die ihren Spitzenkandidaten im Wahlkampf verstecken musste, bundesweit erreicht hat. Und das von den Vertretern einer Branche, die wie kaum eine andere auf ausländische Saisonkräfte angewiesen und extrem vom Klimawandel betroffen ist. Lösungen dafür hat die AfD nicht zu bieten.
Man kann lange über die Wurzeln der Unzufriedenheit der Bauern diskutieren. Tatsache ist, dass die EU nun schnell eine Strategie für die Landwirtschaft braucht, die diesen Namen auch verdient. Denn die Herausforderungen werden größer, nicht kleiner. Und das liegt nicht nur am Klimawandel.
Die Bauernproteste könnten nur ein Vorgeschmack gewesen sein
Am Dienstag haben in Luxemburg offiziell die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine begonnen. Der Weg bis zu einer Vollmitgliedschaft des kriegsgeschüttelten Landes ist noch lang, aber der politische Wille ist eindeutig. Mit der Ukraine soll der EU ein Schwergewicht beitreten, vor allem in Bezug auf die Landwirtschaft. Bei vielen Agrarprodukten gehört das Land mit den riesigen fruchtbaren Feldern zu den größten Exporteuren der Welt. Nach dem russischen Einmarsch hat die EU die Tore ihres Binnenmarkts etwa für ukrainischen Weizen weit geöffnet, um das Land wirtschaftlich zu stabilisieren. Diese temporäre und für Kiew extrem wichtige Maßnahme hat genügt, um eine Ahnung dessen zu bekommen, was der gemeinsamen Agrarpolitik bevorsteht, wenn die Ukraine mit an Bord ist. Es war auch der Druck auf die Weizenpreise, der die Bauern, gerade im östlichen Teil der Gemeinschaft, auf die Barrikaden getrieben hat. In der Folge hat Brüssel die Grenzen zum Binnenmarkt zumindest wieder mit klaren Schranken versehen, um die heimischen Bauern zu schützen.
Die EU kommt beim Umbau der Landwirtschaft zu langsam voran
Die Ukraine hat nicht nur sehr fruchtbare Böden. Sie produziert auch in ganz anderen, industriellen Strukturen. In vielen Teilen Europas wäre der Weizenanbau in einem gemeinsamen Markt mit der Ukraine auf Dauer nicht mehr wettbewerbsfähig. Hinzu kommt aber noch etwas anderes: Der größte Teil der EU-Agrarförderung fließt weiterhin als Direktzahlung an die landwirtschaftlichen Betriebe. Richtgröße ist dabei die Betriebsgröße. Riesige Großbetriebe, die ohnehin bereits den Wettbewerb bestimmen, auch noch mit den höchsten Zahlungen zu unterstützen, wird nicht funktionieren – abgesehen davon, dass das Budget dafür nicht vorhanden wäre.
Man wird sich in typisch europäischer Manier auf Übergangsfristen einigen, das lässt sich schon vorhersagen. Aber wie eine grundsätzliche Reform der Agrarpolitik, die immer für mehrere Jahre festgeschrieben wird, aussehen sollte, dafür fehlen konkrete Vorschläge. Schon ohne diesen Elefanten im Raum kommt die EU viel zu langsam voran beim unausweichlichen Umbau der Landwirtschaft. Es ist eine der größten Zukunftsfragen für der EU, die Landwirtschaft im Dreieck von Nachhaltigkeit, EU-Erweiterung und Bezahlbarkeit neu auszurichten. Die Diskussion darüber muss jetzt geführt werden. Die Zeit wird knapp.
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„18 Prozent der Landwirte haben bei der Europawahl für die AfD gestimmt. Das sind drei Prozent mehr, als die in Teilen rechtsextreme Partei … bundesweit erreicht hat.“
In der Tat liegt der Unterschied näher bei 2 Prozent (AfD bundesweit 15,9 %).
„Das Wahlverhalten spiegelt deutliche Stadt-Land-Unterschiede wider: Die Union und die AfD punkten verstärkt auf dem Land, während die Grünen in städtischen Gebieten besser abschneiden“, schrieb die Konrad-Adenauer-Stiftung am 22. April 2022. Eine kleine Stichprobe zeigt, dass dies in unserer Gegend für die AfD bei der letzten Europawahl zutrifft:
In Bayern liegt das AfD-Ergebnis bei 12,6 %. In Augsburg-Stadt liegt es bei 12,1 %. Je ländlicher es wird, desto höher das AfD-Ergebnis: Augsburg-Land 14,0 %, Dillingen 17,9 %.
Und in der Unterteilung nach Schulbildung erreichte die AfD bei Hauptschulabschluss 18,7 %, bei Mittlerer Reife 22,5 %, bei Hochschulreife 12,7 % und bei Hochschulabschluss 7,3 %. (https://www.kas.de/documents/d/guest/tabellenanhang-europawahl-09-06-2024)
Von daher ist zu vermuten, dass die Landwirte in ihrer Kohorte (Stadt/Land bzw. Schulbildung) die AfD eher unterdurchschnittlich gewählt haben.
Machen wir es doch wie wir es immer gemacht haben wenn die Landwirte maulen: Geld reinbuttern und den Förderkübel auskippen...
Zum Dank wählt man dann die rechten Blender. Genau mein Humor.
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bauernprotese-und-afd-populistisch-und-verlogen-die-entlarvende-bauern-strategie-der-afd/100007470.html
Wer den Handelsblatt-Artikel aufmerksam und unvoreingenommen gelesen hat, wird der Einschätzung von Marcel Fratzscher zustimmen, der die Versprechen der AfD für „populistisch und verlogen“ hält. Das sagt aber nichts über die Berechtigung der Anliegen selbst aus. Und wenn man sich auch noch die Grafik zum Einkommen der Landwirte seit 2010/2011 in dem dort verlinkten Artikel angesehen hat, dann weiß man, dass der durchschnittliche Gewinn der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe sich um die 60.000 Euro bewegt mit Ausreißern nach unten in den Wirtschaftsjahren 2013/2014 bzw. 2014/2015 und nach oben in den beiden letzten Wirtschaftsjahren. (Das Wirtschaftsjahr legt § 4a EStG fest.)
Die Bauern sind also im Durchschnitt bestimmt keine Spitzenverdiener. Ihre Anliegen kann ich deshalb gut verstehen. Und wie sie künftig neben der in der Ukraine in gänzlich anderen Strukturen betriebenen Landwirtschaft mit „bis hin zu Betrieben in einer Größenordnung von mehreren 100.000 Hektar”, bestehen können, sollte ihnen auch gesagt werden. Aber vielleicht ist es auch finanzkräftigen deutschen Landwirten möglich, von den dortigen Wettbewerbsvorteilen zu profitieren, sobald die Ukraine auch nach den Buchstaben des Gesetzes ein EU-Land sein wird.
– vgl. www.ukrinvest.eu/de/investitions/landwirtschaft und
https://www.euractiv.de/section/gap-reform/news/bauernverband-warnt-vor-eu-beitritt-der-ukraine/
Wie wäre denn, wenn wir - die Konsumenten - auskömmliche Preise bezahlen für regionale/heimische landwirtschaftliche Produkte mit einen höheren Standard beim Umweltschutz und Tierwohl, anstatt die bäuerliche LW hierzulande mit unserem Steuergeld "hintenrum" quer zu finanzieren? ...und eben nicht die Subventionierung klima- und biodiversitätsschädlicher Agrarindustrie nach Fläche und samt Agrardiesel.