Die Hamas zerschlagen, das Feuer eingestellt, die Menschen im Gazastreifen mit dem Nötigsten versorgt – und dann? Obwohl noch längst kein Ende des Krieges in Sicht ist, den Israel gegen die Terroristen in seiner Nachbarschaft führt, stellt eine Frage sich immer drängender: Was passiert eigentlich am Tag danach? Dem Tag, an dem die Hamas entweder kapituliert oder so geschwächt ist, dass sie Israel auf absehbare Zeit nicht mehr gefährlich werden kann?
Mahmud Abbas ist die Macht längst entglitten
An einer dauerhaften Besetzung des Küstengebietes, einer Eingemeindung nach Israel gar, hat die israelische Regierung kein Interesse. Vermutlich wird sie Teile der Armee noch für eine Übergangszeit in Gaza stationiert lassen, um dort für Ruhe und Sicherheit zu sorgen und ein Wiederaufflackern der Angriffe zu verhindern. Zu glauben, die Palästinenser selbst könnten vom Westjordanland aus ihren Pseudostaat verwalten, zu dem dann auch der Gazastreifen gehört, wäre allerdings reichlich naiv. Die gegenwärtige Regierung in Ramallah mit dem greisen Mahmud Abbas an der Spitze hat bereits die Kontrolle über das Westjordanland verloren, ein diffuses Verhältnis zur Gewalt und weder die Autorität noch die Mittel, nun auch noch die Verantwortung für Gaza wieder zu übernehmen, die ihr die Hamas 2007 entrissen hat.
Damit bleibt für den Gazastreifen nur eine Lösung – nämlich eine internationale. Ägypten und Jordanien könnten hier eine Rolle spielen, die als Vermittler bzw. benachbartes Brudervolk ohnehin seit Langem involviert sind. Vor allem aber müssen die Vereinten Nationen ihr obsessiv kritisches Verhältnis zu Israel überdenken und endlich in die Rolle eines neutralen Vermittlers schlüpfen. Ein Vorbild dafür könnte Bosnien sein, wo seit dem Ende der Balkan-Kriege vor 30 Jahren Blauhelmsoldaten und ein von der internationalen Gemeinschaft eingesetzter Oberaufseher versuchen, ein fragiles Staatsgebilde zu stabilisieren. Von einer Demokratie westlichen Vorbilds ist diese Konstruktion zwar fast so weit entfernt wie die Hamas-Spitze vom Friedensnobelpreis. Zu einem unabhängigen Staat mit freien Wahlen aber führt auf absehbare Zeit auch in der palästinensischen Autonomie kein Weg.
Was geschieht mit Gaza? Bosnien könnte ein Vorbild sein
In dem Moment, in dem der Krieg endet, stellen sich zunächst auch andere, praktischere Fragen – die nach dem Wiederaufbau etwa oder die nach der Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten. Eine politische Lösung für den Gazastreifen wird sich anschließend erst langsam herausschälen, zumal völlig unklar ist, wer dabei eigentlich für die Palästinenser sprechen sollte – Abbas etwa, dem die Macht längst entglitten ist, oder gar jemand aus dem noch extremistischeren Lager? Am Endes des Krieges wäre ja allenfalls die Hamas zerstört, nicht aber die irre Ideologie, die sie vertritt. In ihrem Weltbild existiert Israel nicht (mehr).
Die Zwei-Staaten-Lösung, die US-Präsident Joe Biden und EU-Europa immer ungeduldiger einfordern, kann deshalb erst am Ende eines langen Prozesses stehen und nicht schon an seinem Anfang. Den Hass auf alles Jüdische aus den Köpfen zu bekommen und ein halbwegs friedliches Nebeneinander zu organisieren, wird Jahre dauern, wenn nicht gar Jahrzehnte. Dazu müssen die Palästinenser der Gewalt abschwören und das Existenzrecht Israels anerkennen – die vielleicht schwierigste Aufgabe einer internationalen Gaza-Mission. Damit sie erfolgreich sein kann, braucht sie ein robustes, mit weitreichenden politischen und militärischen Kompetenzen versehenes Mandat. Eines wie in Bosnien.