In Deutschland hoffen über 8000 Patienten auf ein neues Herz, eine neue Lunge oder eine neue Niere. Ohne eine Organspende werden sie nicht mehr lange leben. Vergangenes Jahr haben fast 1000 Deutsche ihre Organe gegeben, damit andere weiterleben können. Es gibt zu wenige davon, das zeigt das Verhältnis dieser beiden Zahlen. Nicht ausdrücken können sie, welche menschlichen Schicksale des bangen Wartens, des Leids, der Zuversicht und der Angst vor dem Tod mit dem ungünstigen Verhältnis verbunden sind.
Parteiübergreifend will eine Gruppe Abgeordneter mehr Menschen hierzulande dazu bringen, dass sie nach dem eigenen Tode ihre Organe spenden, damit andere ein zweites Leben bekommen. Wer nicht ausdrücklich widerspricht, soll automatisch Organspender werden. Die Idee vereint das Ziel, mehr Schwerstkranken zu helfen und gleichzeitig Mündigkeit und Selbstbestimmung des Einzelnen zu verbinden. Wer seine Organe nicht spenden will, muss aktiv werden und das ausdrücklich kundtun. Die jetzige Rechtslage würde umgekehrt.
Grundfragen des Menschseins berührt
Dennoch löst der Vorschlag Unbehagen aus und irritiert, weil er fundamentale Fragen des Menschseins berührt. Reicht die Selbstbestimmung über den Tod hinaus? Kommt noch etwas nach dem Sterben und wie sieht das aus? Wie weit geht Nächstenliebe und lebte nach einer Organtransplantation etwas von einem selbst in einem anderen Menschen fort? Schließlich auch die Frage nach der Rolle des freiheitlichen Staates. Wie stark darf er die Selbstbestimmung über den Körper beschränken?
Die Antworten auf diese Fragen können unterschiedlich ausfallen und man kann mit gutem Grund zu dem Ergebnis kommen, dass jeder Organspender werden sollte, wenn dem nicht explizit widersprochen wird. In der gegenteiligen Sichtweise ist die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eine Grenze, die der demokratische Staat nicht überschreiten darf. Während der Coronapandemie hat er es mit der Impfpflicht für medizinisches Personal und Soldaten getan. Zur Abstimmung im Bundestag stand sogar eine allgemeine Impfpflicht gegen das Virus, die schließlich aber keine Mehrheit fand.
Seinerzeit hat der Impfzwang den Druck in einer ohnehin aufgeladenen Ausnahmesituation verstärkt. Bis heute gibt es keinen ernsthaften Versuch, die Seuchenpolitik mit ihren tiefen Eingriffen in die Freiheit aufzuarbeiten.
Selbstbestimmung vor gesellschaftlichem Nutzen
Die Erfahrung der Pandemie lehrt, dass der Staat in medizinischen Angelegenheiten sehr behutsam vorgehen muss und im Zweifel die Selbstbestimmung des Einzelnen höher zu bewerten ist als der gesellschaftliche Nutzen. In diesem Sinne sollte es deshalb dabei bleiben, dass jeder selbst entscheiden muss, ob er seine Organe nach dem Tode spenden will. Wegen der Dimension der davon berührten ethischen Fragen ist das die richtige Vorgehensweise. Allerdings haben sich bislang nur 120.000 Organspender in das Register eingetragen. Das könnten deutlich mehr sein.
Die Befürworter der Widerspruchslösung würden nun argumentieren, dass die Kampagnen und Appelle von Politikern zu wenig erreicht haben und es deshalb an der Zeit sei, das Prinzip umzudrehen. Man kann aber auch daraus schließen, dass die Menschen weiter darauf hingewiesen werden müssen, sich mit der sensiblen Frage auseinanderzusetzen.
Diese Haltung wird die über 8000 Wartenden enttäuschen, die ein neues Organ brauchen. Es sei ihnen gesagt, dass es in der Abwägung auch respektabel wäre, sollte der Bundestag beschließen, alle Menschen zu Organspendern zu machen. Der Zweck wäre fraglos edel, aber auch in diesem Falle heiligt er nicht alle Mittel.