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Kommentar: Recht auf Münzen und Scheine? Bargeld ist ein Stück gelebte Freiheit

Kommentar

Recht auf Münzen und Scheine? Bargeld ist ein Stück gelebte Freiheit

Rudi Wais
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    Nur Bares ist Wahres? So oder so ähnlich denken viele Deutsche und Österreicher.
    Nur Bares ist Wahres? So oder so ähnlich denken viele Deutsche und Österreicher. Foto: Patrick Pleul, dpa/Illustration

    Ein kleiner Gasthof, irgendwo in den Tiroler Bergen. Wer hier einkehrt, muss flüssig sein oder weiterwandern bis zur nächsten Hütte. Die Wirtin akzeptiert nur Bargeld – und hat starke Verbündete. Aus Sorge, die Europäische Union könnte das Bezahlen mit Münzen und Scheinen irgendwann ganz verbieten, will Bundeskanzler Karl Nehammer nun die österreichische Verfassung ändern und in ihr ein Recht auf Bargeld verankern. 

    Diese Diskussion dürfte so oder so ähnlich auch in Deutschland noch geführt werden. Mit dem Argument, damit könnten Schwarzarbeit, Geldwäsche oder die Finanzierung von Terrorismus besser bekämpft werden, will die EU-Kommission eine Obergrenze von 10.000 Euro für das Bezahlen in bar einführen. Das aber ist schon in der Sache Unfug, weil Kriminelle heute nicht mehr mit Aktenkoffern voller Geld durch die Welt reisen, sondern ihre Geschäfte zunehmend über Kryptowährungen abwickeln, die sich viel schwerer kontrollieren lassen als ein klassisches Konto. Gleichzeitig zeigt der Vorstoß aus dem alles regeln wollenden EU-Universum ein befremdliches Verständnis von Freiheit.

    Jede Zahlung mit Uhr oder Karte hinterlässt Spuren

    Es macht einen Unterschied, ob jemand aus eigenen Stücken mit der Karte oder der Uhr am Arm bezahlt, oder ob er dazu gezwungen wird. Jede elektronische Zahlung hinterlässt Spuren – in einer völlig bargeldlosen Zeit wäre jeder Einkauf in der Apotheke, im Erotikshop oder im Spirituosenladen dokumentiert und jedes Gramm Marihuana, das ein junger Mensch sich bestellt, auch. Vor Missbrauch sicher wären diese Daten nicht, das zeigt die zunehmende Cyberkriminalität. Bargeld dagegen schützt die Privatsphäre, weil Daten, die gar nicht erst entstehen, auch nicht gestohlen oder zweckentfremdet werden können. Das Gegenargument, wer nichts zu verbergen habe, brauche auch nichts zu befürchten, ist ja an Einfalt kaum zu überbieten. In einem liberalen Rechtsstaat muss sich nicht der Bürger dafür rechtfertigen, wie er lebt und wie er seine Rechnungen bezahlt, sondern der Staat, wenn er die Freiheiten seiner Bürger beschneiden will, etwa durch das Einführen eines Höchstbetrages für den Einsatz von Bargeld.

    Dazu kommt ein zutiefst emotionaler Aspekt: Scheine und Münzen haben etwas Haptisches, wenn nicht gar Sinnliches, sie symbolisieren den Wert einer Währung und das Vertrauen in sie besser als jede Banking-App. Die Oma, die dem Enkel von ihrer kargen Rente einen Zwanziger zusteckt, die Spardose, in die Kinder stolz die ersten Münzen werfen, das Kuvert mit dem Notgroschen, im Kleiderschrank weit hinten zwischen den Schlafanzügen versteckt, Kirchen, Straßenmusikanten und Obdachlose, die von unserem Kleingeld leben: Bargeld ist viel mehr als ein Zahlungsmittel, es ist ein Teil unseres Lebens, unserer Kultur, unseres Wirtschaftens. Es gibt uns ein Gefühl von Sicherheit. 

    Zwei Währungsreformen in einem Jahrhundert

    Die Angst, es zu verlieren, sitzt in einem Land, das in einem Jahrhundert zwei Währungsreformen erlebt hat, besonders tief. Ja, wer größere Summen bar einzahlt, muss sich heute schon ausweisen, das gebietet das Gesetz gegen Geldwäsche. Das Bare aber schleichend aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, ist letztlich nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Kontrollzwang: Europa traut seinen Bürgern nicht. Länder wie die skandinavischen haben das Bargeld im Alltag zwar faktisch schon abgeschafft. In Deutschland und Österreich dagegen hat es, buchstäblich, einen anderen Wert. Oder, frei nach Dostojewski: Eine Euro-Münze ist nichts anderes als ein Stück geprägte Freiheit.

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