Ein Blick in eine mögliche, nahe Zukunft: Wir sehen das Wimmelbild eines Hauptbahnhofs einer beliebigen deutschen Großstadt. An verschiedenen Gleisen des Fernverkehrs stehen wirklich lange Schlangen dick verpackter, zunehmend hart entnervter Menschen. Sie warten. Manche hoffen noch. Von oben: fieser Schneeregen. Unten stehen große Hartschalenkoffer (Platz für Geschenke) reihenweise herum – viele davon im Weg. An einem Servicepunkt hat sich ein Menschenknäuel um den Bahnmitarbeiter des imaginierten Vertrauens gebildet. Der macht das Beste aus der Lage, weiß aber auch nicht mehr als die Fahrgäste vor ihm. Also nichts. Irgendwo beginnt ein Kind zu weinen. Die Tafel des Bahnhofs zeigt an, dass der Notfall-Fahrplan gilt. Die Lokführer-Gewerkschaft (GDL) streikt auch vor und über das heilige Weihnachtsfest. Als Hintergrundmusik ertönt Chris Reas "Driving Home For Christmas". Komischerweise klingt er dieses Mal irgendwie nicht so wohlig sonor – sondern wie Claus Weselsky.
Man könnte nun sagen: Kinder, beruhigt euch, so weit wird es schon nicht kommen. Andererseits: Es weihnachtet zwar noch nicht sehr, aber lange hin ist es auch nicht mehr. Der Tarifkonflikt zwischen Deutscher Bahn und GDL ist jedenfalls nicht gelöst. Klar, das übliche Geklingel gehört zu den, nun ja, lieb gewordenen Riten dieser Auseinandersetzungen. Nun aber sind erste Warnstreiks beschlossen. Und GDL-Chef Weselky hat auch über die Weihnachtstage Arbeitskämpfe nicht ausgeschlossen – zumindest bis jetzt. Wie frostig es zwischen der Gewerkschaft und Deutschlands größtem Personentransportunternehmen noch wird, muss sich erst noch zeigen. Es geht natürlich ums Geld. Schwierigster Punkt für die Verhandlungen aber ist ein anderer: Die Vertreter der Lokomotivführer wollen die Arbeitszeit für Schichtarbeiter von derzeit 38 Wochenstunden auf 35 reduzieren. Und zwar bei vollem Lohnausgleich. Die Bahn sagt, dass das schwerlich geht, denn Arbeitskräfte sind schwierig zu finden.
Liebe GDL, liebe Bahn, einigt Euch bald!
Eine Einigung scheint mit der Streikankündigung – zwei Tage vor der nächsten Verhandlungsrunde – nicht gerade leichter geworden. Deshalb hier ein sehr dringlicher Appell, wo noch ein bisschen Zeit ist: Liebe GDL, liebe Bahn, einigt Euch bald! Und tut es bitte sehr vor Weihnachten!
Dass inzwischen sogar Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Frieden anmahnt, trägt aus Passagier-Perspektive zur Beruhigung nicht so richtig bei. Schon klar, die GDL habe noch nie über Weihnachten gestreikt, betont Weselsky. Aber Tarifverhandlungen können nun mal ihre eigene Dynamik entwickeln. Alleine mit Ausstand zu drohen, ist aber eine Unverschämtheit.
Auch die Lokführer repräsentieren die Bahn
Denn: Auch die Lokführer repräsentieren schließlich die Bahn. Und damit stehen sie auch für das Gesamterscheinungsbild mit in der Verantwortung. Das Unternehmen allerdings hat die Wünsche seiner Kundinnen und Kunden in den vergangenen Jahren nicht immer zur vollen Zufriedenheit erfüllen können. Dass die Boni – nur ein Beispiel – für führende Mitarbeiter mit der Sicht der Bahnfahrenden auf die erbrachte Gesamtleistung nicht immer korrespondierten, hat man inzwischen verstanden. Auch das aber wäre pünktlicher gegangen.
Wenn also von GDL-Seite aus nun ernsthaft erwogen werden sollte, just dann ein Verkehrschaos anzurichten, wenn die Deutschen zum schönsten Fest des Jahres zu ihren Liebsten aufbrechen wollen, dann muss sich niemand wundern, wenn auch das letzte Verständnis für die Probleme der Bahn bei der Kundschaft abhandenkommt.
Aber so muss es ja nicht kommen, liebes Christkind, oder?