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Kommentar: Auf Spiegels Rücktritt folgt die Kabinetts-Fechterei

Kommentar

Auf Spiegels Rücktritt folgt die Kabinetts-Fechterei

Stefan Lange
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    Auf Spiegels Rücktritt folgt die Kabinetts-Fechterei
    Auf Spiegels Rücktritt folgt die Kabinetts-Fechterei Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Unter den Vertreterinnen und Vertretern der Hauptstadtpresse kursiert gerade eine Feststellung, die einen bitteren Hintergrund hat, deswegen aber nicht falsch ist: Wäre gerade kein Krieg in der Ukraine, würde anders über die Ampel-Regierung von Kanzler Olaf Scholz geschrieben.

    Die Gründe sind schnell erzählt. Zum einen bindet der schreckliche Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin personelle Ressourcen in den Redaktionen. Vor allem aber scheint mancher Vorgang im Kabinett und beim handelnden Personal angesichts der Gräueltaten in der Ukraine weniger bedeutsam. Dabei ist angesichts der Implikationen, die der Krieg verursacht, eine funktionierende Bundesregierung wichtiger denn je. Besonders gut ist es da bei der Ampel jedoch gerade nicht bestellt, die Probleme sind hausgemacht.

    Der Kanzler berief mit Anne Spiegel nicht zwingend die Frau, die am besten für den Posten geeignet gewesen wäre. Da hätten andere zur Verfügung gestanden, die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz beispielsweise. Scholz musste vielmehr schauen, dass er die Interessen von Grünen, FDP und seiner eigenen Partei unter einen Hut bekam. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden, denn bei drei Parteien geht es ja gar nicht anders. Die drei Koalitionspartner jedoch nahmen darüber hinaus auf interne Befindlichkeiten Rücksicht, preisten den Proporz der Landesverbände ein und besetzten dann erst die Kabinettsposten. Das ist kräftig danebengegangen, wie man jetzt sieht.

    Anne Spiegels Rücktritt zwingt Scholz zum Handeln

    Die Causa Spiegel deckt nicht nur die Schwachstellen eines politischen Systems auf, das taktischen Spielchen den Vorzug vor Qualifikation gibt. Es zwingt Scholz auch dazu, sich nur vier Monate nach Amtsantritt mit der Frage nach einer größeren Kabinettsumbildung zu befassen.

    Der Regierungschef hat mindestens zwei Sorgenkinder am Kabinettstisch sitzen: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist das eine, die SPD-Politikerin kann noch so viel arbeiten, die Rufe nach einer Ablösung verstummen nicht. Bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach sind sie nachvollziehbarer, der SPD-Mann hat in der Corona-Pandemie die Verwirrung zum Konzept erhoben und macht es schwer, ihm zu folgen. Ein paar andere werfen noch Innenministerin Nancy Faeser in den Sorgenkinder-Topf. Die Genossin aus Hessen lasse es in der Ukraine-Krise und in der Flüchtlings-Frage an Tatkraft missen, so der Vorwurf.

    Scholz ist lange genug im politischen Geschäft. Er weiß, dass der Rücktritt eine Diskussion in Gang setzt, die wiederum vor allem von Taktik geprägt ist. Die Opposition formiert sich, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) etwa bezeichnete den Vorgang bereits vor Spiegels Demission als Glaubwürdigkeitstest für SPD und Grüne. Der Wahlkämpfer lieferte damit einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Wüsts NRW-CDU schießt sich mit der „Mallorca-Affäre“ ins Abseits und gefährdet den für die Reputation von Merz so wichtigen Sieg bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai.

    Bundeskanzler Scholz muss sich entscheiden: Unterstützen oder Feuern

    Scholz hat in dieser Situation zwei Möglichkeiten. Er kann Christine Lambrecht, Karl Lauterbach und Nancy Faeser endlich öffentlich den Rückhalt geben, den er ihnen bislang vorenthielt, und ihre Position so festigen. Oder er feuert sie. So oder so: Handeln muss er jetzt, mit der Merkel’schen Unart des Aussitzens ist es hier nicht getan.

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