Man kann darüber streiten, ob von Agrardiesel und Kfz-Steuer tatsächlich das Wohl und Wehe der deutschen Landwirtschaft abhängt. Doch der Protest der Bauern richtet sich ja nicht nur gegen die aktuellen Kürzungen. Überbordende Bürokratie und die Schnäppchen-Mentalität vieler Kunden zwangen eine Menge Höfe in die Knie. Insofern ist der Frust nachvollziehbar. Doch eines muss völlig klar sein: Gewalt, verbale und körperliche Drohungen und Einschüchterungsversuche dürfen niemals ein Mittel sein, um politische Forderungen durchzusetzen.
Am Donnerstagabend bedrängten wütende Bauern an der Nordseeküste eine Fähre, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dessen Frau an Land bringen wollte. Die Situation drohte zu eskalieren, Polizisten wurden der Lage zunächst nicht Herr, die Fähre musste aus Sicherheitsgründen wieder ablegen.
Ein Gesprächsangebot des Grünen-Politikers lehnte die aufgebrachte Menge ab. Er konnte erst mitten in der Nacht von Bord gehen. Es waren nur etwa 100 Personen, die da die Grenzen des Vertretbaren in beschämender Weise überschritten, doch sie gefährden den Rückhalt für hunderttausende Landwirte im Land.
Nach Blockade von Habecks Fähre: Kein weiteres Öl ins Feuer gießen
Umso wichtiger ist es, dass sich der Bauernverband von der Attacke auf Habeck distanzierte. Aber das allein wird nicht reichen. Die Vertreter der Landwirtschaft müssen sich auch fragen, ob sie noch immer weiteres Öl ins Feuer gießen sollten. Und auch Politiker wie Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger stacheln die Situation mit ihrer Polemik gegen die Regierung ("Ihr meint, die Bauern sind dümmer als Ihr? Irrtum!") immer weiter auf.
Nein, der Bauernverband muss natürlich nicht vor lauter Dankbarkeit auf die Knie fallen, nur weil ihm die Regierung im Streit um Kürzungen entgegengekommen ist, aber als Reaktion darauf die Wut der Landwirte erst recht zu schüren, ist der Sache eben auch nicht angemessen.
Unmut unter Bauern über die unprofessionelle Arbeit der Bundesregierung
Dass die Ampelkoalition nun mit der Brechstange ihren Haushalt in Ordnung bringen muss, trifft nicht nur die Bauern. Doch ihr Aufstand steht stellvertretend für einen tief sitzenden Unmut in der Bevölkerung über die unprofessionelle Arbeit der Regierung. Und so genießen sie bislang großen Rückhalt in der Bevölkerung. Wenn sie diese Sympathien nicht verspielen wollen, dürfen sie sich jetzt nicht radikalisieren.
Es ist gut und wichtig, dass sich der Bauernverband klar von Demokratieverächtern, Verschwörungsideologen und Wutbürgern abgrenzt, die nur darauf lauern, die Stimmung weiter anzuheizen. Aber erst bei den Großveranstaltungen in der kommenden Woche wird sich zeigen, wie ernst diese Distanzierung gemeint ist. Die Bauern leisten mit harter Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Versorgung dieses Landes. Diesen Ruf sollten sie nicht aufs Spiel setzen.