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Kommentar: Angela Merkel spürt die Vergänglichkeit ihrer Macht

Kommentar

Angela Merkel spürt die Vergänglichkeit ihrer Macht

Rudi Wais
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    Hat ihre starken Jahre hinter sich: Kanzlerin Angela Merkel.
    Hat ihre starken Jahre hinter sich: Kanzlerin Angela Merkel. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    Um sich daran zu erinnern, wie schnell auch einem Kanzler die Macht entgleiten kann, muss Angela Merkel sich nur kurz umdrehen. Hinter ihrem Schreibtisch in Berlin hängt ein Adenauer-Porträt des Malers Oskar Kokoschka, aus dem Deutschlands erster Bundeskanzler gedankenverloren in den Raum blickt. War nicht auch seine letzte Amtszeit eine einzige Qual? Nach den Verlusten bei der Wahl 1961 hatte Adenauer sich zwar noch in ein Bündnis mit der FDP gerettet, da aber war aus dem einst so geachteten Kanzler schon ein Mann auf Abruf geworden. Als die Spiegel-Affäre wenig später die Republik erschütterte, konnte er seinen Sturz nur mit der Zusage verhindern, zur Mitte der Wahlperiode freiwillig zurückzutreten.

    Merkel klingt häufig, als lebe sie in einer anderen Welt

    Ganz so tönern ist der Grund, auf dem die Kanzlerschaft von Angela Merkel im Moment fußt, noch nicht. Nach mehr als 13 Jahren im Amt aber spürt nun auch sie die Vergänglichkeit aller Macht. Der Streit um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat sich binnen weniger Tage zu einer veritablen Koalitionskrise mit ungewissem Ende ausgewachsen, in der Unionsfraktion muss ihr Vertrauter Volker Kauder plötzlich um den Vorsitz fürchten – und auch der matte, leidenschaftslose Auftritt der Kanzlerin in der Generaldebatte des Bundestages war so ziemlich das Gegenteil von dem, was ein Land an politischer Führung erwarten kann. Während die Republik sich unter dem Eindruck der Ereignisse von Chemnitz weiter polarisiert, klingt die Regierungschefin häufig, als lebe sie in einer anderen Welt. Einer Welt, in der es genügt, mehr Wohnungen zu bauen, die Renten regelmäßig zu erhöhen und den Diesel zu retten, um sich das Vertrauen der Wähler zu erhalten.

    Mit ihrer unaufgeregten, abwartenden Art, einst eine ihrer großen Stärken, stößt Angela Merkel bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise an eine argumentative und eine emotionale Grenze. Die Stimmung im Land ist zu aufgeheizt, als dass sie sich mit dem Mantra, Deutschland gehe es doch gut, noch abkühlen ließe. Die Situation in der Union und der Koalition ist zu verfahren, als dass sie sich mit der Demission eines Verfassungsschützers noch befrieden ließe. Die Reden allerdings, die die Kanzlerin jetzt halten müsste, hält der Bundestagspräsident. Wolfgang Schäuble ist es, der laut über eine Neuausrichtung der Asylpolitik nachdenkt oder die Dinge nach Chemnitz wieder geraderückt, der linke wie rechte Gewalt gleichermaßen ächtet und zum Auftakt der ersten Parlamentswoche nach den Sommerferien ein flammendes Plädoyer für ein starkes Gemeinwesen hält.

    Angela Merkel wird ihre Kanzlerschaft nicht kraftvoll beenden

    Weil es an Alternativen fehlt und das revolutionäre Potenzial in der Union deutlich kleiner ist als beispielsweise in der SPD, hat Angela Merkel bisher alle kleineren und größeren Krisen unbeschadet überstanden. Nachdem ihr Versuch gescheitert ist, sich mit einer Jamaika-Koalition eine neue politische Legitimation und damit auch eine neue Machtbasis zu verschaffen, geht es ihr nun allerdings wie ihren Vorgängern Adenauer und Kohl. Beide wurstelten sich durch ihre letzten Regierungsjahre mehr schlecht als recht durch, saßen die Probleme aus und betonierten sich in ihren Ämtern regelrecht ein.

    Ob Angela Merkel das Gefühl dafür verloren hat, was die Menschen bewegt, oder ob es nur ihrem Naturell widerspricht, politisch etwas offensiver zu agieren, spielt dabei schon keine Rolle mehr. In einer Koalition, die nach wenigen Monaten schon ausgezehrter wirkt als andere Koalitionen am Ende einer Legislatur, wird sich über kurz oder lang ein Narrativ der deutschen Nachkriegsgeschichte wiederholen: Souverän und selbstbestimmt ist noch kein Kanzler aus seinem Amt geschieden.

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