Hubert Aiwanger gehört zu jenem Politiker-Typus, dessen beste Eigenschaften auch gleichzeitig seine schlechtesten sind. Als volksnah gilt er, als im positiven Sinne hemdsärmelig, als einer, der für jene Menschen spricht, die über "die in Berlin“ manchmal den Kopf schütteln. Damit füllt der Freie-Wähler-Chef eine politische Lücke, die ihm die etablierten Parteien in den vergangenen Jahren überlassen haben. Man mag außerhalb Bayerns Witze über den Mann mit dem markanten Dialekt machen, doch das muss ihn wenig kümmern. Gerade diese Abgrenzung ist es ja, die einen Teil seines politischen Erfolges ausmacht.
Doch dann ist da auch noch der Aiwanger, der sich einfach zu gut gefällt in seiner Rolle als angeblich letzter aufrechter Vertreter des "gesunden Menschenverstands“. Der Aiwanger, der sich mit glühendem Kopf derart in Fahrt redet, dass er mit Karacho über rote Linien hinausdonnert, die den Kern der Gesellschaft ausmachen. So wie am vergangenen Wochenende in Erding. "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss“, ist der Satz, der hängen geblieben ist. Fünf Tage sind seither vergangen, doch die Kritik an dem, was Aiwanger dort verzapft hat, reißt nicht ab. Und das aus gutem Grund.
Freie Wähler-Chef Aiwanger heizt die Stimmung an
Wer als stellvertretender bayerischer Ministerpräsident der Bundesregierung vorwirft, die Demokratie abgeschafft zu haben, der spielt mit dem Feuer. Auch im aufziehenden Wahlkampf und auch vor dem Hintergrund der Heizungskontroverse muss sich ein führender Politiker fragen lassen, wie weit er in seiner Wortwahl wirklich gehen will – und was das Ziel ist. Geht es darum, im Stil eines Donald Trump die Stimmung im Land weiter anzuheizen und von der so selbst geschaffenen Verunsicherung der Menschen zu profitieren, dann mag er auf einem guten Weg sein. Spürt er aber auch nur einen Funken Verantwortung für dieses Land, über die eigenen Umfragewerte hinaus, dann sollte Aiwanger seinen Ton ändern. Leider deutet gerade nichts darauf hin. Die Kritik, die ihm entgegenschlägt, ordnet er als "linke Masche“ ein. Er lasse sich den Mund nicht verbieten, poltert er – als ob das jemals jemand versucht hätte.
Auch Ministerpräsident Markus Söder balanciert auf dem Grat des Sagbaren
Es ist ein inzwischen gewohntes Muster: Aiwanger behauptet, gegen Dinge zu kämpfen, die in Wirklichkeit gar nicht zur Debatte stehen. Niemand verbietet ein Schnitzel, niemand verbietet die Worte Mutter und Vater – und niemand hat in Deutschland die Demokratie abgeschafft. Damit bedient der Freie-Wähler-Chef eine Erzählung, die auch rechte Gruppierungen wie die AfD nur zu gern nutzen: der moderne Widerstandskämpfer, der sich mutig gegen den Mainstream stellt. Aber Aiwanger ist eben kein Widerstandskämpfer, er ist einer der ranghöchsten bayerischen Politiker. Wenn jemand wie er den Populismus zur Wahlkampftaktik erhebt, dann vergiftet er den Brunnen, aus dem er selbst trinken muss. Die vergangenen Jahre haben eindrucksvoll gezeigt, dass, wer dem Populismus Futter gibt, am Ende nur die Radikalen selbst fett macht.
Einer, der das erlebt hat, ist Ministerpräsident Markus Söder. Auch er war bei der Demo in Erding dabei. Auch er ist ein Politiker, der bisweilen waghalsig auf der Grenze des Sagbaren balanciert. Doch anders als sein Vize scheint er zumindest hinterher erkannt zu haben, dass dies nicht die beste Entscheidung war. Söder ist eben bei allem, was man ihm zu Recht vorwerfen kann, immer auch Staatsmann. Und ein Staatsmann stellt nicht den Staat infrage, er schützt ihn.