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Kommentar: Afghanistan – Wegschauen ist keine Option

Kommentar

Afghanistan – Wegschauen ist keine Option

Simon Kaminski
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    Ein Taliban-Kämpfer steht Wache am Ort einer Explosion vor dem Kabul International Cricket Stadium.
    Ein Taliban-Kämpfer steht Wache am Ort einer Explosion vor dem Kabul International Cricket Stadium. Foto: Ebrahim Noroozi/AP, dpa

    Afghanistan ist das Land, in dem alles noch schlimmer kommt, als befürchtet wird. Als vor einem Jahr westliche Geheimdienste registrierten, dass die islamistischen Taliban ihren Vormarsch beschleunigen, waren sie auch schon da – mitten in Kabul. Entsprechend unkoordiniert verlief der Abzug der ausländischen Streitkräfte. Kaum warnten Experten vor Hunger im Land, wurde die humanitäre Notlage Realität. Kaum gab es erste Anzeichen dafür, dass

    Der völkerrechtlich umstrittene Drohnenangriff der USA auf den Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri zeigte nicht nur, dass die USA mithilfe moderner Drohnen Terroristenführer ohne Vorwarnung an jedem Ort richten können. Er enthüllte auch, dass ein Mann wie al-Sawahiri mitten in Kabul unbehelligt, ja protegiert von den Machthabern in einem Haus logieren konnte. Der Satz, wenn wir wegschauen, wird Afghanistan wieder Hort des Extremismus werden, der am Ende auch uns bedroht, ist leider nach wie vor richtig.

    In Afghanistan werden alte Rechnungen beglichen

    Unsere Sicht auf das Land war und ist zu wenig differenziert. Afghanistan ist nicht nur Kabul, Taliban ist nicht gleich Taliban – das Land hat viele Gesichter. Praktiker wie der Niederbayer Reinhard Erös, der im Osten Afghanistans viele Schulen und eine Universität aufgebaut hat, ärgern sich, dass in westlichen Medien fast nur über die Lage in Kabul berichtet wird. In den Provinzen, in denen seine Kinderhilfe tätig ist, können er und seine Mitarbeiter fast ungestört weiterarbeiten. Seine Mädchenschulen seien offen, mit den Taliban vor Ort können man reden.

    Doch auch diese zart positiven Nachrichten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Taliban dabei sind, die Zukunftschancen für ihr Land zu vernichten. Auf die Dienste gut ausgebildeter Frauen zu verzichten, eine weitergehende Ausbildung von Mädchen zu verhindern, ist nicht nur unmenschlich, sondern auch politischer Irrsinn. Gleichzeitig werden alte Rechnungen beglichen, es wird gefoltert und gemordet. Genau dies, so haben die Taliban nach der Machtübernahme immer wieder betont, werde diesmal nicht geschehen. Doch es geschieht.

    Das Elend in Afghanistan kann man nicht ausblenden

    Die Neigung der westlichen Staaten, die Taliban direkt zu unterstützen, um die heraufziehende humanitäre Katastrophe wirksam zu bekämpfen, ist verständlicher Weise gering. Offensichtlich ist, dass die siegreichen Rebellen in vielerlei Hinsicht heterogen sind. Der frühere Präsident Hamid Karzai, der erstaunlicherweise nach wie vor in Kabul geduldet wird, sagte dem Magazin Spiegel, dass es durchaus hochrangige Taliban gebe, die erkannt haben, dass es gesellschaftlicher Selbstmord ist, Frauen von Bildung und Berufsleben auszuschließen. Die US-Regierung hat nun entschieden, die Hälfte der rund 6,1 Milliarden Euro der afghanischen Zentralbank, die Washington beschlagnahmt und in den USA eingefroren hat, der notleidenden afghanischen Bevölkerung zugutekommen lassen. Das ist richtig und dringend notwendig.

    Es ehrt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, dass sie energisch versucht, die Ortskräfte – also einheimische Mitarbeiter und Helfer der Bundeswehr und deutscher Hilfsorganisationen – aus dem Land zu holen. Und beschämt ihre zu untätigen Vorgänger. Doch das wird nicht reichen. Das Elend am Hindukusch wird man nicht ausblenden können.

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