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Kommentar: AfD und FPÖ: Deutschland steht auf – Österreich bleibt still

Kommentar

AfD und FPÖ: Deutschland steht auf – Österreich bleibt still

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    Herbert Kickl, Parteichef der rechten FPÖ.
    Herbert Kickl, Parteichef der rechten FPÖ. Foto: Helmut Fohringer, dpa

    Mit einer Mischung aus Erstaunen, Bewunderung, aber auch Neid und Scham blickt man in Wien dieser Tage nach Deutschland. Massendemos in den deutschen Städten, Zigtausende gehen gegen rechts und die AfD auf die Straße, selbst im konservativ geprägten Bayern – fast 200.000 waren es am Sonntag in München – die breite Koalition der Zivilgesellschaft, quer über die ideologischen Grenzen hinweg, das sorgt auch in Österreich fürDiskussionen und für Schlagzeilen. 

    Die deutsche Brandmauer gegen Autoritarismus und Nationalismus, die von vielen Beobachtern und Kommentatoren in Deutschland vor kurzem noch als einsturzgefährdet beschrieben wurde – sie ist gerade um ein paar Meter höher und um einiges dicker geworden.

    Das letzte Mal, als in Österreich die breite Masse gegen den Rechtsruck auf die Straße ging, das war in den Nullerjahren: Der damalige konservative Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hatte die in Teilen rechtsextreme FPÖ unter Jörg Haider in die Regierung geholt, zu Spitzenzeiten demonstrierten rund 300.000 im Zentrum von Wien für Demokratie, Grundrechte und Menschenwürde. Eine bunte Koalition, wie auch jetzt in Deutschland hatte sie ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, den Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen mobilisiert. 

    In Österreich führt die FPÖ die Umfragen an - organisierten Widerstand gibt es nicht

    Heute, zwanzig Jahre später, bleibt Österreich still – und das, obwohl die AfD-Schwesterpartei FPÖ und ihr Parteichef Herbert Kickl seit Monaten stabil die Umfragen anführen und die Bedrohung für die Demokratie im deutschen Nachbarland überall Thema Nummer eins ist. Die neofaschistischen Identitären, deren Kopf Martin Sellner mit seinen „Remigrations“-Plänen beim Treffen von AfD, Geldgebern und Rechtsextremen in Potsdam den Ausschlag für die Massenbewegung gegen rechts in Deutschland gegeben hatte – seit Jahren pflegen sie beste Verbindungen zur FPÖ, personelle Überschneidungen inklusive. Während man sich vor Kickls Antritt an der Parteispitze zumindest pro Forma von der Identitären abgrenzte, ja sogar von Unvereinbarkeiten sprach, sind nun unter Kickl alle Hemmungen gefallen. Der jetzige FPÖ-Parteichef selbst sprach auf einem rechtextremen Kongress, für ihn sind die Neofaschisten eine „unterstützenswerte NGO“. Organisierten Widerstand gegen die Bedrohung von extrem Rechts sucht man in Österreich vergebens.

    Während in den Kommentarspalten der Zeitungen die einen nostalgisch über die starke Zivilgesellschaft der Nullerjahre nachdenken und auf ein Revival hoffen, reden andere davon, dass die FPÖ ja eh nicht ganz so schlimm sei wie die AfD, jedenfalls nicht ganz so radikal – und vergessen dabei, dass es gilt, den Inhalt anzusehen, und nicht die Form. Im österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk vermisst man bei Berichten über die erwachende und immer lauter werdende Zivilgesellschaft in Deutschland wie auch bei Beiträgen über die AfD regelmäßig Hinweise auf die seit Jahren bestehende inoffizielle Partnerschaft der FPÖ mit dem organisierten rechten Rand. Von den auch in Österreich starken Gewerkschaften und den Kirchenvertretern – vor allem sie könnten tatsächlich Großdemos wie in Deutschland organisieren – gibt es indes nur dröhnendes Schweigen. 

    Die Österreicher schauen auf die eigene Politik wie das Kaninchen auf die Schlange

    Offenbar wartet man lieber ab, ob Kickl sein Umfragehoch bei den spätestens im Herbst anstehenden Nationalratswahlen tatsächlich an die Urnen bringen kann und es die FPÖ dann auch in die Regierung schafft. Zu groß scheint vor allem bei den Gewerkschaften die Angst zu sein, bei offenem Widerstand gegen die FPÖ einen Teil der eigenen Mitglieder zu verärgern. Gewerkschaftsmitglied und trotzdem fremdenfeindlich zu sein und bei der FPÖ das Kreuz zu setzten, das schließt sich im Land der Sozialpartnerschaft keineswegs aus. Dass die Gewerkschaften Angst vor der rechten Mobilisierungsstärke haben, zeigte ihr Zögern, sich offen gegen „Querdenker“ und Verschwörungsgläubige zu stellen, die in den vergangenen Jahren massenhaft die Straßen in Wien unsicher gemacht hatten – unter anderen angeführt von Sellners Identitären und FPÖ-Chef Kickl. 

    Wie das Kaninchen vor der Schlange wartet man also in Österreich auf das, was da vielleicht kommen könnte, hofft und bangt, resigniert oder wartet im Stillen auf ein Wunder. Jetzt zeigt sich, wieviel Arbeit die Deutschen in den Jahrzehnten nach der Naziherrschaft in ihre Demokratie gesteckt haben, und wie defizitär all das in Österreich, das sich allzu lange als Hitlers „erstes Opfer“ selbst verleugnete, ablief. Anders als in Deutschland steht in Österreich die Feuerprobe der Demokratie direkt bevor. Im Herbst muss das Land unter Beweis stellen, dass so etwas wie eine nennenswerte Zivilgesellschaft überhaupt noch existiert – und wie weit es wirklich her ist mit dem antifaschistischen Grundkonsens in der Alpenrepublik.

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