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Kommentar: 60 Jahre Élysée-Vertrag: Eine Vernunftehe, die nicht zerbrechen darf

Kommentar

60 Jahre Élysée-Vertrag: Eine Vernunftehe, die nicht zerbrechen darf

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    Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Staatsempfang in Berlin.
    Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Staatsempfang in Berlin. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Wer sich mit dem Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland der letzten Jahrzehnte befasst, kommt nicht um die Persönlichkeiten herum, die es besonders positiv geprägt haben. Und auch nicht um ihre symbolisch aufgeladenen Gesten und Worte, angefangen von der „Rede an die deutsche Jugend“ des französischen Präsidenten Charles de Gaulle, in der er 1962 in Ludwigsburg die jungen Leute auf Deutsch dazu beglückwünschte, „Kinder eines großen Volkes“ zu sein. Wie bitte? „Jawohl! Eines großen Volkes, das manchmal im Laufe seiner Geschichte große Fehler begangen hat“, rief de Gaulle nur 17 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

    Wenig später, am 23. Januar 1963, unterzeichnete er an der Seite von Konrad Adenauer den Élysée-Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Als bedeutsam erwies sich auch die Initiative von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, den Weg zu einem europäischen Währungssystem freizumachen, oder der Handschlag von François Mitterrand und Helmut Kohl 1984 auf einem Kriegsgräberfeld in Verdun.

    60 Jahre Elysée-Vertrag: Konflikte gab es immer zwischen Frankreich und Deutschland

    Die langen Schatten dieser historischen Momente erhöhen den Druck auf die Nachfolger dieser Staatsmänner, Versöhnung und Einigkeit ähnlich eindrucksvoll in Szene zu setzen – allen Streitfragen zum Trotz, die sie im Alltag trennen. In der Idealisierung der Vergangenheit wird oft verkannt, dass die bilaterale Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich nie frei von Konflikten und Konkurrenzdenken war.

    Zu unterschiedlich sind die Kulturen der beiden Nachbarn und damit oft ihre Interessen. Zu wenig kennt man einander. Ja, es gibt gemeinsame Sitzungen von Ministerräten, den Austausch von Beamten und jede Menge an engen persönlichen Verbindungen. Doch diese Beziehung ist kein Selbstläufer, was Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz gerade wieder erkennen müssen.

    Vernunftehe zwischen Frankreich und Deutschland – in der Krise ist sie wichtig

    Vor dem Hintergrund multipler Krisen fällt es ihnen sichtlich schwer, gemeinsame Linien zu finden. Paris setzt auf Kernenergie, den Ausbau einer europäischen Verteidigung und plädiert für schuldenfinanzierte EU-Investitionspakete. Deutschland lehnt Letztere ab, bleibt beim Atomausstieg und hält sich weiter an US-Rüstungstechnik. Der französische Präsident kann in der Außen- und Sicherheitspolitik blitzschnell bestimmen; in Deutschland muss sich eine Koalition, manchmal mit Zustimmung des Parlaments, zu einer Entscheidung durchringen.

    Umso wichtiger wäre es, aus diesen Unterschieden eine Stärke zu machen. Neue Initiativen anlässlich des anstehenden 60-Jahr-Jubiläums, wie ein deutsch-französisches Bahnticket für Jugendliche, sind willkommen. Ebenso wichtig ist es aber auch, die alten Errungenschaften zu bewahren. So droht dem einzigen deutsch-französischen Kindergarten in Paris durch eine Reform des französischen Bildungsministeriums das Ende. Zu den Versicherungen, sich einander immer noch mehr anzunähern, passt das nicht.

    Deutsch-französische Beziehung: Gemeinsam rudert es sich besser als allein

    In Frankreich wird oft emotional von einem „deutsch-französischen Paar“ gesprochen. Das ist insofern zutreffend, als es unabdingbar bleibt, sich füreinander zu interessieren. Wie ein altes Ehepaar, das einst eine Vernunftehe einging und in der beide mit all den Eigenarten des Partners, der so unfassbar anders ist, zurechtkommen müssen.

    Gemeinsam in einem Boot rudert es sich besser als alleine. Das galt für de Gaulle und Ade-nauer wie für alle ihre Nachfolger.

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