Kurz vor Beginn der offiziellen Koalitionsverhandlungen gibt es Streit zwischen Union und SPD um die Migrationspolitik. Die potenziellen Partner liegen auf dem Weg zu der von Friedrich Merz angekündigten Asylwende offenbar noch weit auseinander. Laut Bild-Zeitung hat eine SPD-Arbeitsgruppe ein Konzept vorgelegt, das Teile des Sondierungspapiers wieder infrage stellt. Demnach sollen ausreisepflichtige Flüchtlinge doch nicht konsequenter abgeschoben werden. Es soll dabei um rund 200.000 Menschen gehen. Diese Forderung löst nicht nur Irritationen in CDU und CSU aus, sondern auch unter Sozialdemokraten.
Ein weiterer Streitpunkt sind die geplanten Zurückweisungen an der deutschen Grenze: Während die Union die Regierungen von Nachbarländern lediglich darüber informieren möchte, wenn Migranten dorthin zurückgeschickt werden, fordert die SPD, vorher die Einwilligung der angrenzenden Staaten einzuholen. Merz hatte sich immer wieder für einen scharfen Kurswechsel ausgesprochen. Aus dem Willy-Brandt-Haus hieß es allerdings, die Sozialdemokraten blieben hier bei ihrer Linie.
Dagegen regt sich aber selbst in den eigenen Reihen Widerstand: Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnte seine Partei davor, die Asylwende zu blockieren. „Das wäre ein großer Fehler der SPD“, sagte er unserer Redaktion und gab zu bedenken: „Ihre eigene Wählerschaft ist aufgrund der weltfremden Migrationspolitik in Scharen zur AfD übergelaufen.“
CSU-Chef Söder zur Migration: Es wird einen grundlegenden Richtungswechsel geben
Markus Söder macht auf Nachfrage ebenfalls eine klare Ansage an den möglichen Regierungspartner: „Die Sondierung gilt. Daran wird nichts geändert.“ Die Begrenzung der Migration sei das zentrale Wahlkampfversprechen der Union. „Es wird einen grundlegenden Richtungswechsel geben: Die illegale Migration muss begrenzt werden“, kündigte der CSU-Chef an. Dazu gehörten Zurückweisungen an der Grenze und Rückführungen auch nach Afghanistan und Syrien.

Daniel Thym, einer der renommiertesten deutschen Migrationsexperten, fordert einen echten strategischen Kurswechsel, statt vermeintlich schneller Lösungen. „Die Vorstellung, man könnte dauerhaft – ich sage bewusst dauerhaft, kurzfristig mag es einen gewissen Effekt geben – die Migration durch Zurückweisungen steuern, ergibt keinen Sinn“, sagte er unserer Redaktion. Dafür gibt es gerade hier in Süddeutschland zu viele Schleichwege.“ Nachhaltig könne nur eine europäische Lösung sein. „Mein Eindruck ist, dass CDU und CSU nicht mehr an diese europäische Lösung glauben und nun mit der Brechstange den Hebel umlegen wollen.“

Der Schaden, der dadurch auf europäischer Ebene angerichtet werden könnte, sei hoch, fürchtet Thym. „Mein Wunsch für die Koalitionsverhandlungen wäre, dass die Zeit, die durch kurzfristige Maßnahmen erkauft werden kann, produktiv genutzt wird“, sagte er. „Dass es ein funktionierendes System gibt, wenn die nächste Migrationsbewegung losgeht. Das haben wir bisher nicht.“ Er selbst schlägt unter anderem vor, Asylverfahren zu entschlacken und somit schneller zu machen, sowie die Zusammenarbeit mit Herkunftsländern auszubauen. Auch eine tägliche Höchstgrenze für Asylanträge an den EU-Außengrenzen hält er für notwendig. „Länder wie Italien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Polen sind schon seit Langem für eine restriktivere Asylpolitik, mit denen könnte man sich einigen“, ist der Experte sicher. „Dafür müssen sie aber eingebunden werden.“
Forderungen aus SPD-regierten Ländern nach härterer Asylpolitik
Auch aus SPD-regierten Ländern gibt es Forderungen nach einer härteren Linie: „Es muss in Deutschland grundsätzlich das Prinzip durchgesetzt werden: Wer kein Bleiberecht hat bei uns, muss wieder gehen“, sagte etwa Katrin Lange (SPD), Innenministerin von Brandenburg, unserer Redaktion. Sie sieht nun den Bund in der Pflicht. Hubert Aiwanger glaubt nicht an einen großen Wurf: „Ein bisschen was wird hoffentlich kommen, aber große Erwartungen habe ich nicht.“ Die SPD müsse sich endlich bewegen, fordert der Freie-Wähler-Chef, „sonst ruiniert sie unser Land“. Er hoffe, dass die SPD sich „erinnert, dass sie mal die Partei der kleinen Leute war, nicht der ideologischen Schickeria“.
Am Montag sollten die 16 Arbeitsgruppen von Union und SPD eigentlich ihre Ergebnisse vorlegen. Daraus soll dann der Koalitionsvertrag entstehen. Ob dieser Termin jedoch zu halten ist, ist fraglich.
Wenn die SPD noch einen Funken Anstand hat, dann sollte sie sich bemühen, soviel Humanität im Umgang mit Asylbewerbern und Migranten wie möglich herauszuschlagen und nicht vor dem CSU-Populisten und dem Scharfmacher Merz zu Kreuze kriechen. Und Gabriel sollte sich endlich raushalten aus der aktiven Politik. Er hatte auch nicht nur Glanzpunkte während seiner Zeit als Minister. Dass er nun den Elder Statesman gibt und seiner Partei immer mal wieder in den Rücken fällt, das kann er sich sparen. Sicher werden wir ihn in der AZ bald wieder groß im Interview haben. Ganz ehrlich: da kann ich drauf verzichten. Die Arbeitsgruppe sollte sich von einem Experten wie Thym beraten lassen, was menschlich und rechtlich möglich ist und nicht die Scharfmacherei von Merz und Söder mittragem. Auch die C-Parteien werden Kompromisse machen müssen, sonst ist das keine Koalition, sondern eine Zwangsheirat. Das würde nicht lange gutgehen.
Dass Sie auf Thym verweisen, überrascht mich. Warum? Er ist für die Union bereits als Berater für Asyl- und Migrationsfragen tätig und fordert selbst eine andere und in einigen Bereichen härtere Migrationspolitik. Also nichts anderes, was eine Mehrheit des Wahlvolkes nach den Wahlen erwartet. Und vielleicht schafft man ja diesmal, dass man Migration in den Arbeitsmarkt und Migration ins Sozialsystem auch in der Außenkommunikation besser differenziert.
Herr Bock, dann lesen Sie doch nochmal genau durch, wozu Thym rät. Das hat mit den populistischen Hauruck-Pänen von Merz und Soder wenig zu tun. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was Thym sagt, aber es gilt, aus dieser Debatte Gift herauszunehmen und Abschiebungen von Menschen, die hier Arbeit haben und sich integriert haben, differenzierter zu sehen. Ohne eine europäische Lösung wird nichts vorangehen, die Alleingänge von Merz und Söder nicht nicht durchführbar und heizen nur die Debatte an statt Lösungen zu finden.
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