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Koalition in Berlin: Ampel-Koalition in Trümmern: Eine Chronik des Scheiterns

Koalition in Berlin

Ampel-Koalition in Trümmern: Eine Chronik des Scheiterns

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    Christian Lindner (FDP) verlässt nach einem Fraktionstreffen in Folge seiner Entlassung durch den Bundeskanzler das Reichstagsgebäude.
    Christian Lindner (FDP) verlässt nach einem Fraktionstreffen in Folge seiner Entlassung durch den Bundeskanzler das Reichstagsgebäude. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist noch nicht trocken, als Saskia Esken schon den unvermeidlichen Herman Hesse bemüht. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, zitiert die SPD-Vorsitzende den vielleicht größten Sohn ihres Wahlkreises im baden-württembergischen Calw zum Start des Dreier-Bündnisses. Christian Lindner allerdings ahnt da schon, dass die neue Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen einen beschwerlichen Weg vor sich haben würde. „Die Aufgaben und Vorhaben sind groß“, warnt der FDP-Chef. „Deshalb werden die Ampelparteien Unterstützung von mehr Menschen benötigen als uns gewählt haben.“

    Drei Jahre später steht die Koalition vor den Trümmern ihrer Arbeit. Die breite Unterstützung, auf die Lindner hoffte, ist ausgeblieben und die Ampel so gut wie abgeschaltet. Von den 52 Prozent der Deutschen, die eine der drei Parteien bei der vergangenen Bundestagswahl gewählt haben, würden heute nur noch 32 Prozent für SPD, Grüne oder FDP stimmen. Ihr Motto „Mehr Fortschritt wagen“, angelehnt an Willy Brandts berühmtes Versprechen, mehr Demokratie zu wagen, hält nicht einmal eine Legislaturperiode lang. Angetreten, besser zu regieren als die Großen Koalitionen vor ihr, neue Antworten für eine neue Zeit zu finden und sich auch in Ton und Stil von früheren Regierungen zu unterscheiden, geht es der Ampel am Ende nicht anders als anderen Regierungsbündnissen auch: Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist irgendwann aufgebraucht, das Trennende tritt stärker zutage und auch der Ton untereinander ist nicht mehr allzu kollegial. Im Gegenteil: Man höre nur Olaf Scholz und Christian Lindner am Abend des Scheiterns.

    Kreiste die Ampel nur um sich selbst? Weit weg, von den Menschen?

    Der Streit um Robert Habecks Heizungsgesetz, das vom Verfassungsgericht sogar vorübergehend gestoppt wird, ist im vergangenen Jahr der vorläufige Höhepunkt der wechselseitigen Entfremdung, eine Zäsur für die Koalition und für Hunderttausende von Hausbesitzern auch eine Kampfansage: zu teuer, zu dirigistisch, einseitig die Wärmepumpe bevorzugend. Spät erst räumt der grüne Wirtschaftsminister ein: „Ich bin zu weit gegangen.“ Gleichzeitig aber sagt er auch: „Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja ehrlicherweise auch ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen.“ Der Vorwurf, er behandle mündige Bürger wie Versuchskaninchen, begleitet ihn deshalb bis heute.  

    Die Ampel – ein Universum, das um sich selbst kreist, weit weg von den Sorgen der Menschen? Gestartet im Corona-Winter 2021 und kalt erwischt von Russlands Angriff auf die Ukraine nur zwei Monate nach der Vereidigung des Kabinetts bleibt der neuen Bundesregierung keine Zeit sich warmzulaufen oder gar den Koalitionsvertrag mit seinen mehr als 140 Seiten routiniert abzuarbeiten. Im Gegenteil: Improvisieren wird zu einer Art Staatskunst. Irrläufer und Irrtümer miteingeschlossen. Sind die Koalitionäre sich noch einig, dass es zu der vom Bundeskanzler im Bundestag ausgerufenen Zeitenwende und den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr keine Alternative gibt, so streiten sie sich anschließend umso heftiger um alles, was sich daraus ableitet.

    Die Laufzeit der letzten Atomkraftwerke verlängern oder nicht? Die Schuldenbremse ein weiteres Jahr außer Kraft setzen oder nicht? Waffen an die Ukraine liefern oder nicht – und, wenn ja, welche? Dazu Inflationsraten von teilweise mehr als zehn Prozent, der anhaltend hohe Migrationsdruck und der Streit um das Bürgergeld, das die FDP als Ersatz für Hartz IV zunächst mit trägt, um es später umso schärfer zu kritisieren: Koalitionen sind schon an kleineren Konflikten zerbrochen. Bei der Ampel sind die neuralgischen Punkte am Ende der Streit um den Haushalt und der Richtungswechsel, den die FDP in der Wirtschaftspolitik verlangt. 

    Lindner und die Schuldenbremse: Stoff für Koalitions-Zoff

    „Auch ich will einen starken Staat, etwa beim Thema Bundeswehr“, sagt Lindner kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in einem Interview mit unserer Redaktion. „Auf der anderen Seite muss ich aber auch den Appetit nach zusätzlichen staatlichen Programmen und Subventionen bändigen.“ Ob er da schon ahnt, dass in diesem Anspruch bereits der Nukleus für das Scheitern der Koalition liegt? Sozialdemokraten und Grüne würden die strengen Schuldenregeln lieber heute als morgen außer Kraft setzen. Der Finanzminister aber steht buchstäblich bis zum bitteren Ende fest auf der Schuldenbremse, was den Kollegen Habeck allerdings nicht daran hindert, frisches Geld für einen milliardenschweren „Deutschlandfonds“ von Lindner zu fordern, aus dem er Investitionen bezuschussen will.

    Alle Versuche von Scholz, die teils weit auseinanderliegenden Positionen in Zweier- und Dreiergesprächen noch irgendwie zusammenzubekommen, sind zum Scheitern verurteilt – wenn sie denn noch ernst gemeint waren. Der Koalitionsausschuss mit den Spitzen der drei Parteien kann daran am Mittwochabend nichts mehr ändern – auch das ein Zeichen mit Symbolkraft. In ihrem Eifer, es anders zu machen, wollten die Koalitionäre spätabends und nächtens ursprünglich überhaupt keine Verhandlungen führen…

    Ein paar Dinge konnte die Ampel regeln – viele Themen aber auch nicht

    Diesen Anspruch aber hat die Ampel schon lange aufgegeben, zu groß ist der Gesprächsbedarf häufig, sei es im Streit um den Etat, sei es im Streit um die Atomkraft, den der Kanzler mit einem Machtwort und einer winzigen Verlängerung der Laufzeiten entscheidet. Meist knirscht es zwischen Liberalen und Grünen, während der Kanzler und die Kanzlerpartei SPD sich auf das Moderieren beschränken.

    Vergleichsweise geräuschlos einigen sich die Koalitionsparteien dagegen auf eine Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro, eine Ausbildungsplatzgarantie für junge Menschen, die Verstaatlichung des Energiekonzerns Uniper , die Freigabe von Cannabis oder auf umstrittene gesellschaftspolitische Reformen wie das neue Selbstbestimmungsgesetz, das es jedermann bzw. jederfrau so einfach wie noch nie macht, das eigene Geschlecht auf dem Standesamt ändern zu lassen. Deutlich populärer sind draußen, im Land, der Tankrabatt, die Energiepreisdeckel und das Neun-Euro-Ticket – Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung auf dem Höhepunkt der Energiekrise versucht, die Menschen zu entlasten. Nicht eingelöst hat sie allerdings ihr Versprechen, 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu bauen. Auch mit dem Wohnungsmangel, den steigenden Mieten und den hohen Baupreisen muss sich jetzt eine neue Bundesregierung auseinandersetzen.

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    5 Kommentare
    Wolfgang Steger

    Herr Lindner war immer zu feige, selbst Konsequenzen aus seinem politischen Scheitern zu ziehen. Jetzt kann er sich als Opfer darstellen. Man kann nur hoffen, dass der Wähler dieses Manöver durchschaut und die FDP aus dem Bundestag wählt.

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    Klemens Hain

    Ihren Kommentar Herr Steger finde ich genauso wie Sie und füge hin zu das hin und von Herrn Lindner hätte schon viel früher ein Handlungsbedarf von Herrn Scholz gebraucht. Ich finde Herr Lindner war kein guter Koalitionspartner. Der Anfang der Ampel war echt gut, denn der Angriff von Russland auf die Ukraine hat sich die Ampel schon gezeigt, wie gut Sie einige Krisen gemeistert hat. Mann hätte begreifen müssen, dass das dauersparen und der dauerstreit keine gute Lösung war, sondern im Gegenteil, man hätte mehr Geld für die Zukunft in die Hand nehmen müssen, um die Wirtschaft und Deutschland gut durch die Krisen zu bringen, denn Russland hat uns vorgeführt wie man Verträge nicht einhält und wir in einer Abhängigkeit geraten sind Leider!!!!

    Klara Rasper

    Ein paar mehr positive Dinge zur Ampel koennten einem schon einfallen. Die zu loesenden Probleme waren auch nicht gerade kleiner als bei frueheren Regierungen. Dass die FDP eine Koalition verlaesst ist nun mindestens das dritte Mal (auch wenn de facto Scholz diese beendet hat). Jetzt sollte nur noch einige Wahlperioden die FDP dem Bundestag fern bleiben.

    Günter Köhler

    Schade, dass Olaf Scholz so lange dem ganzen Treiben und vor allem den ständigen Provokationen von Christian Lindner zugeschaut und geschwiegen hat. Dadurch ist leider auch unnötig viel Vertrauen in ihn und die Ampelregierung verloren gegangen. Es hätte nicht so ausgehen müssen, wie es jetzt ist und eigentlich schade um diese Regierung, die mit guten und richtigen Ideen und Vorhaben gestartet war, sich aber in sich selber immer mehr verhedderte und ihre Linie verlor.

    Oliver Krause

    Vielleicht hätte man einen anderen Kanzler gebraucht. Bundeskanzler Scholz hat selbst wenig zustande gebracht, hat immer nur Lindner und Habeck reden lassen und es versäumt, klar zu sagen, für welche Politik Deutschland steht. Es steht im Grundgesetz, der Kanzler hat Richtlinienkompetenz und bestimmt die Politik in Deutschland. Das hat er nicht gemacht.

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