Eines steht für die Klimaaktivisten der „Letzte Generation“ nach dem „Ersten Jahr des Widerstandes“ fest: Die Bundesregierung hat in der Klimakrise „auf ganzer Linie versagt“, wie Jakob Beyer, einer der Sprecher der Gruppe, bei einer Online-Pressekonferenz am Montag formulierte. Die Konsequenz für die Aktivisten ist die Ausweitung der Proteste: „Wir werden an so vielen Stellen wie möglich den Alltag in dieser Republik unterbrechen“, sagte Sprecherin Aimée van Baalen.
Ab 6. Februar sollten Protestaktionen „in allen Regionen Deutschlands“ stattfinden, „in jeder Stadt und jedem Dorf“ und „mit immer mehr Menschen“. Ob es auch neue Formate bei den Protesten geben werde oder ob sich Klimaaktivisten der Gruppe auch 2023 in erster Linie an die Fahrbahn festkleben werden, um für Stillstand an neuralgischen Verkehrspunkten zu sorgen, blieb offen. Man werde weiterhin „kreativ“ bleiben, hieß es.
Die "Letzte Generation" erhebt schwere Vorwürfe an die Bundesregierung
Schwere Vorwürfe gingen an die Bundesregierung. So seien noch nicht einmal moderate Forderungen der „Letzten Generation“ wie die Einführung eines 9-Euro-Tickets für die Bahn oder Tempo 100 auf Autobahnen umgesetzt worden – für die Aktivisten ist die Verweigerung der Ampel-Koalition zu handeln, ein veritabler „Verfassungsbruch“. Schließlich seien gewählte Politiker verpflichtet, Schaden vom Volk abzuwenden. Mehrfach versicherten die Sprecher am Montag, dass es unumstößlicher Konsens der „Letzten Generation“ sei, ausschließlich friedlich gegen den „Todeskurs“ der Politik zu kämpfen.
Mit Blick auf die von der Gruppe wahrgenommene fehlende Bereitschaft der Ampel-Koalition zu einer Kehrtwende und eines sich zügig schließenden Zeitfensters, in dem es noch möglich sei, die Klimakatastrophe zu stoppen, verlangt die „Letzte Generation“ ein neues Bürgergremium einzusetzen. Die Bundesregierung solle einen „Gesellschaftsrat“ konstituieren, für den Delegierte per Los ermittelt werden. Dieses Gremium, das die ganze Breite der Bevölkerung repräsentieren solle, habe die Aufgabe, Schritte auszuarbeiten, die sicherstellen, dass Deutschland ab 2030 klimaneutral ist. Die Regierung solle dann verpflichtet werden, die Vorschläge des Rates auch umzusetzen.
Exakt vor einem Jahr blockierte die „Letzte Generation“ erstmals in Berlin eine Zufahrt zur Autobahn. Die Blockaden, bei denen sich Aktivisten an die Straßendecke kleben, rufen seitdem oft heftige Reaktionen bei genervten Autofahrern, aber auch bei Politikern hervor. Die Gruppe spricht von bisher 1250 Blockaden. Über eine enorme Belastung klagt die Polizei. Die Erregung steigerte sich, als Aktivisten hinter Glas geschützte Kunstwerke mit Brei attackierten. Tausende von Strafanzeigen sind anhängig, rund 1200 Aktivisten kamen in Polizeigewahrsam.
Die Gruppe finanziert sich nach eigenen Angaben in erster Linie aus Kleinspenden. Einnahmen von rund 900.000 Euro im Jahr 2022 stünden Ausgaben von circa 535.000 gegenüber.
Ein Problem für die "Letzte Generation" ist die geringe Akzeptanz in der Bevölkerung
Für heftige Diskussionen sorgte die Bemerkung des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt, der im November vor der Entstehung einer „Klima-RAF“ warnte. Den Vergleich mit den Terroristen der Roten Armee Fraktion nannte der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, kurzerhand „Nonsens“. Problematischer für die „Letzte Generation“ dürfte indessen die sehr überschaubare Akzeptanz der Protestformen der Gruppe sein. Das Verständnis für die Ziele der Gruppe mag vorhanden sein, doch nach einer Civey-Umfrage vom November glauben 86 Prozent der Befragten, dass die „Letzte Generation“ ihrem Anliegen mit ihren Aktionsformen schade.
Der Protestforscher Jannis Grimm von der Freien Universität Berlin plädiert für ein differenziertes Bild. Auf die Klimapolitik hätten die Aktivisten keinen sichtbaren Einfluss gehabt, sagt Grimm. Doch hielten sie trotz Kriegs in der Ukraine, Energiekrise und Inflation die Klimakrise in den Medien. „Das ist natürlich ein wahnsinniger Erfolg.“ (mit dpa)