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ZdK-Präsidentin Stetter-Karp: „Merz verlässt Boden des Grundgesetzes“

Migrationspolitik

Kirchen gehen auf Distanz zur Union

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    Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, kritisiert die Union und Friedrich Merz scharf.
    Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, kritisiert die Union und Friedrich Merz scharf. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

    Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland haben sich mit deutlichen Worten gegen den Gesetzentwurf der Unions-Fraktion über eine verschärfte Migrationspolitik positioniert – und sich damit in bemerkenswerter Weise gegen den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz gestellt. Über den Entwurf des sogenannten Zustrombegrenzungsgesetzes soll am Freitag im Bundestag entschieden werden. Er ist Teil einer aktuell aufgeheizten politischen Debatte infolge der Messerattacke von Aschaffenburg, bei der ein wohl psychisch kranker und ausreisepflichtiger Asylbewerber zwei Menschen tötete.

    Innerhalb der Kirchen wird zugleich kontrovers auch über eine andere Frage diskutiert: Sind CDU/CSU, die das C für „christlich“ im Namen führen, für Christen überhaupt noch wählbar?

    Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) – das ist das oberste katholische Laiengremium –, sagte am Mittwochabend unserer Redaktion: „Die Unionsanträge zur Inneren Sicherheit und zur Migrationspolitik vom Mittwoch dieser Woche als auch der Gesetzentwurf, zu dem die Union am Freitag im Bundestag Zustimmung haben will, überschreiten Grenzen der politischen Kultur und gleichzeitig werden damit die Probleme nicht gelöst.“ Alle Migrantinnen und Migranten würden, so Stetter-Karp, darin „zu einer per se kritischen Gruppe erklärt, der mit Misstrauen begegnet wird“. Zu Merz sagte sie: „Friedrich Merz verlässt wissentlich in der Frage des Asylrechts den Boden des Grundgesetzes und verletzt aus offenbar wahlkämpferischen Motivationen den Grundsatz der Menschenwürde, die für alle gilt.“ Außerdem handelt er ihr zufolge „innerhalb der Europäischen Union unsolidarisch und verletzt Europarecht. Das kann sich Deutschland in der aktuellen weltpolitischen Lage schlicht nicht leisten“.

    „Weder die Entschließungsanträge noch der Gesetzentwurf“, so die ZdK-Präsidentin weiter, „machen Vorschläge zu einer besseren Integration. Stattdessen bedienen sie die von der AfD genährten Stereotype, nach denen alle Probleme Deutschlands von den Migranten verursacht seien.“ Der Gesetzentwurf der CDU/CSU sei „nicht konstruktiv“. Stetter-Karp: „Es ist gut zu sehen, dass es innerhalb der Union auch erste Widerstände gegen diese Linie gibt. Das betrifft auch Personen, die sich ehrenamtlich im ZdK engagieren.“

    „Der Gesetzentwurf ist aus Sicht der Kirchen nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen“

    In einer gemeinsamen Stellungnahme zum Vorstoß des Unionskanzlerkandidaten Merz hatten das Katholische Büro in Berlin und die Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik und der EU, also die politischen Vertretungen der Kirchen, zuvor erklärt: Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen hätten „nach aktuellem Wissensstand“ weder den Weihnachtsmarkt-Anschlag von Magdeburg noch die Messerattacke von Aschaffenburg verhindert. Der Entwurf des Zustrombegrenzungsgesetzes sieht unter anderem vor, die Befugnisse der Bundespolizei bei Abschiebungen auszuweiten und subsidiär Schutzberechtigten keinen Familiennachzug mehr zu gewähren.

    Die Taten, heißt es in der Erklärung, seien „von offensichtlich psychisch kranken Personen begangen“ worden. Sie zeigten aus Sicht der beiden großen Kirchen „ein Defizit hinsichtlich des Informationsaustausches unterschiedlicher Behörden und einen eklatanten Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker auf“. Der Kernsatz der Stellungnahme, die auf den 28. Januar datiert und an die Bundestagsabgeordneten gerichtet ist, lautet: „Der Gesetzentwurf ist aus Sicht der Kirchen daher nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen.“

    Die katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) wollte sich am Mittwoch auf Anfrage nicht weiter dazu äußern – damit bleibt unklar, ob tatsächlich alle deutschen Bischöfe hinter dem Wortlaut der Erklärung stehen. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx wollte sich nicht zu dieser äußern. Auch der evangelische bayerische Landesbischof gab keinen Kommentar. Hintergrund, zumindest auf katholischer Seite, ist offenkundig, dass die Stellungnahme des Katholischen Büros nicht mit den Bischöfen beziehungsweise der DBK abgestimmt war.

    Jesuitenpater: „Das ist ein Dammbruch“

    Der bekannte Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller begrüßte am Mittwoch auf Facebook die in der Erklärung ausgeführte Positionierung der Kirchen: Es sei gut, dass sie klare Kante zeigten. „Die CDU/CSU ist im Moment für Christen:innen nicht wählbar. Sie verrät in der Person von Merz grundlegende christliche Werte“, schrieb er.

    Der bekannte Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller begrüßt die Positionierung der Kirchen gegen die Union.
    Der bekannte Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller begrüßt die Positionierung der Kirchen gegen die Union. Foto: picture alliance, dpa

    In einem Kommentar für katholisch.de, dem Nachrichtenportal der katholischen Kirche in Deutschland, wurde auch Jesuitenpater Stefan Kiechle, früher Leiter der Deutschen Provinz seines Ordens, deutlich: Friedrich Merz öffne „das Tor für die Zustimmung von rechts, etwa von AfD und BSW, hingegen schließt er es de facto für die Zustimmung der demokratischen Mitte, vor allem von Grünen und SPD“. Kiechle weiter: „Das ist nicht nur ein Dammbruch, es ist im praktischen Vollzug das Einreißen der vorher immer beschworenen Brandmauer gegen rechts.“ Merz' Vorschläge verscherbelten, so Kiechle, „Grundüberzeugungen der CDU, für die diese einmal stand“. Und: Es werde für Christen „immer schwerer, die Merz'sche CDU zu wählen“.

    BDKJ: Sind Merz‘ Pläne „vielleicht einfach demokratie- und menschenfeindlich“?

    Zuvor schon hatte der BDKJ, der größte Dachverband katholischer Kinder- und Jugendverbände in Deutschland, auf Instagram gepostet: „Wenn du deine Pläne nur mit Hilfe von Demokratie- und Menschenfeinden umsetzen kannst, sind deine Pläne vielleicht einfach demokratie- und menschenfeindlich.“ Eine unmissverständliche Anspielung auf Merz und die Union, die neben dem Zustrombegrenzungsgesetz bereits an diesem Mittwoch im Bundestag über zwei Entschließungsanträge mit weiteren Verschärfungen in der Migrationspolitik abstimmen lässt. Dass Merz hierzu auch Stimmen und Zustimmung der in Teilen rechtsextremen AfD in Kauf nehmen will, hat eine Debatte über die Abgrenzung zur AfD und über ein Bröckeln der „Brandmauer“ entfacht.

    „Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt“, erklärten auch die politischen Vertretungen der Kirchen. Und erinnerten an das politische Versprechen der Parteien – Merz selbst hatte es abgegeben –, nach Bruch der Ampel vor der vorgezogenen Bundestagswahl keine Entscheidungen herbeizuführen, bei denen die Stimmen der AfD ausschlaggebend sei.

    In einem offenen Brief an den BDKJ übte die Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände (AGV), als beobachtender Mitgliedsverband des BDKJ, scharfe Kritik – am BDKJ: „Unsere gemeinsame Glaubensbasis darf nicht dazu instrumentalisiert werden, persönliche politische Vorlieben von Verbandsfunktionären zu propagieren“, so die AGV. „Der BDKJ hat mit diesem Instagram-Post faktisch eine Wahlempfehlung gegen eine Partei ausgesprochen, die unumstritten zur demokratischen Mitte gehört.“

    Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hatte dagegen erst kürzlich seine politischen Erwartungen für das Bundestagswahljahr vorgestellt und dabei seine Haltung bekräftigt, „dass eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD nicht ins Kalkül gezogen werden darf“. ZdK-Präsidentin Stetter-Karp erklärte gegenüber unserer Redaktion nun, die Pläne von Friedrich Merz „widersprechen den Beschlusslagen des ZdK in eklatanter Weise“.

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    10 Kommentare
    Stefan Ruga

    Wenn man für ein bestimmtes Themengebiet keinerlei Regelungs- bwz. Regierungsverantwortung trägt, läßt sich leicht moralisieren. Es mag richtig sein, daß die Amokläufe von Magdeburg und Aschaffenburg auch auf ein Behördenversagen und "Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker" zurückzuführen sind, wie vielleicht andere vorher auch. Doch kann es sein, daß diese Mängel auch Folge der schieren Zahl der Einwanderer auf der Flüchtlings- und Asylschiene, der unzweckmäßigen Verfahren und dem Mangel an Personal und Mittel, diese abzuschließen und umzusetzen sind? Laut verschiedener Fachleute haben 30-40% der Flüchtlinge/Asylbewerber psychische Störungen. Woher sollen die Behandlungskapazitäten kommen, wenn schon Einheimische teils lange auf Behandlungen warten und schon Probleme bestehen, die Leute überhaupt unterzubringen? https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/betreuung-gefluechtete-psychische-erkrankungen-100.html

    Stefan Ruga

    Und das ist nicht der einzige Aspekt. Segregation, religiöse und politische Radikalisierung, z. T. Kriminalisierung Jugendlicher und Kinder sind Fakt. Der Arche-Sprecher Berlin hierzu: „Wir sind am Ende. Unser System ist kollabiert. Um den anderen noch helfen zu können, fordere ich einen Aufnahme-Stopp von Flüchtlingen.“ „Einerseits fordern die Politiker pro Jahr 60.000 ausländische Facharbeiter, andererseits gehen 60.000 junge Menschen ohne Abschluss von der Schule. Wir müssen aufhören, die Menschen zu uns zu locken... Die Flüchtlinge fehlen ihrem Land und nicht uns.“ https://www.bz-berlin.de/berlin/marzahn-hellersdorf/arche-am-limit-fluechtlinge-messer Nach 8 Jahren Augen zu und weiter so, wird schon irgendwie, ist es an der Zeit, sich der Realität, mit der die Menschen in diesem Land (und ihre Kinder) jeden Tag konfrontiert sind, zu stellen. Die Bürger dieses Landes haben einen Anspruch darauf, daß ihre gewählten Vertreter sich primär "dem Wohle des deutschen Volkes" widmen.

    Jochen Hoeflein

    Das Boot ist einfach - übervoll. Das Land wird überfordert mit der hohen Anzahl an Flüchtlingen; das System kann das nicht bewältigen. Die Kirchen machen es sich zu leicht um Ratschläge vom hohen moralischen Podest zu erteilen. Und wenn 40-50 % der Flüchtlinge physische Störungen haben kann DEU nicht dafür herhalten dies zu korrigieren; der hohe Anteil von jugendlichen Flüchtlingen die ohne jegliche Bindungen hierher kommen ist den Verhältnissen in den Herkunftsländern und den hohen Geburtenraten dort geschuldet. Wie soll man solche Leute hier integrieren, seelisch angeschlagen, ohne Ausbildung , die noch dazu nicht Willens sind sich den hiesigen Verhältnissen anzupassen. Unter diesen Randbedingungen leiden nicht nur die eigenen Bürger sondern auch Zuwanderer, die integrations- und arbeitswillig sind.

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    Klaus Heiß

    Wohl wahr. Es leiden auch die arbeitenden und nicht kriminellen Zuwanderer unter diesen Zuständen.

    Maria Reichenauer

    Herr Heiß, und warum leiden "die arbeitenden und nicht kriminellen Zuwanderer " unter diesen Zuständen? Weil man sie sständig unter Generalverdacht stellt, weil bei jedem Verbrechen oder Vergehen die selbe Diskussion hochkocht. Weil auch aus den Reihen der "arbeitenden und nicht kriminellen Zuwanderer" immer wieder Menschen abgeschoben werden wie Verbrecher. Sogar solche, die in Mangelberufen wie der Pflege arbeiten. Weil man nicht bedenkt, dass es nicht nur unter den Migranten schwarze Schafe gibt, sondern auch unter den Deutschen. Der größte Anteil der Menschen in unseren Gefängnis dürften immer noch Deutsche sein, oder? Ein Verbrechen ist immer schlimm, aber es hat keine Nationalität und keine Religion.

    Jochen Hoeflein

    Widerspruch- leider ist der Anteil inb. im Bereich Jugendkriminalität ( männlich, 25 Jahre und jünger) in den letzten Jahren ständig gewachsen und übersteigt inzwischen den Anteil von Deutschen ( biologisch DEU und eingebürgete Ausländer + EU Bürger) signifikant.

    Klaus Heiß

    Ob das wohl auch die Meinung der verbliebenen Gläubigen repräsentiert?

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    Maria Reichenauer

    Wer ein ehrlicher und aufrichtiger Bekenner der christlichen Lehre ist, wird Frau Stetter-Karp geistig folgen können, die anderen gehen scheinheilig sonntags in die Kirche, um gesehen zu werden. Ich denke, viele Nicht-Katholiken werden ihr ebenfalls recht geben. Wem Menschenwürde und Humanität nicht viel wert sind, sondern nur der eigene Vorteil zählt oder wer sogar den rassistischen Sprüchen der AfD folgt, der wird sich hier natürlich nicht wiederfinden. Leider, denn der ist im Grunde genommen arm dran.

    Stefan Ruga

    Auch in dem Zusammenhang interessant: So einig wie hier durch die AZ bzw. die Stellungnahme der Präsidentin des ZdK dargestellt ist sich zumindest die kath. Kirche in Deutschland anscheinend keineswegs. Die Generalsekretärin der katholischen Bischofskonferenz, Beate Gilles, meint hierzu: "Die mehrheitliche Meinung im Ständigen Rat war, dass es in der aktuellen Situation nicht sinnvoll ist, in die Debatte und damit in den Wahlkampf öffentlich einzugreifen.“ Von daher empfehle sie „von weiteren Stellungnahmen abzusehen“. https://presse-augsburg.de/bischofskonferenz-generalsekretaerin-ruegt-kritik-an-unions-plaenen/1010011/

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    Thomas Faßnacht

    Frau Gilles und der Ständige Rat haben sich nur dagegen ausgesprochen die Kritik am Vorgehen der Union öffentlich zu äußern, nicht mehr und nicht weniger.

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