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Kirche: Zurückgezogene Kölner Missbrauchsstudie: Kanzlei wehrt sich

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Zurückgezogene Kölner Missbrauchsstudie: Kanzlei wehrt sich

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    Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, will eine "vollständige Neufassung der Untersuchung".
    Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, will eine "vollständige Neufassung der Untersuchung". Foto: Guido Kirchner, dpa

    Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ist in einer Pressemitteilung am Montagmittag Vorwürfen entgegengetreten, die das Erzbistum Köln ihr kürzlich gemacht hatte. Dabei geht es um eine Missbrauchsstudie, in der auch Namen von Verantwortlichen genannt werden sollten – bis in die Bistumsspitze hinein.

    Am vergangenen Freitag hatte das Erzbistum Köln erklärt, das vom Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki Ende 2018 selbst bei der Münchner Kanzlei in Auftrag gegebene unabhängige Gutachten, nicht veröffentlichen zu wollen. Die Kanzlei sei „wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen“.

    Die Kanzlei hatte dazu bereits erklärt, dass ihr erst am vergangenen Freitag entsprechende Ausführungen sowie ein Gutachten zu methodischen Standards übermittelt worden sei.

    Kanzlei will Betroffenen ihre Studie überlassen - das hat Sprengkraft

    Nun teilte sie nach einer Prüfung der in einem "Gegen-Gutachten" zweier Professoren gemachten Aussagen mit, dass diese Ausarbeitung selbst „unter einem grundlegenden methodischen Fehler“ leide. Die Verfasser seien nämlich von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. „Der uns im Dezember 2018 erteilte Auftrag bestand in einer umfassenden Bewertung des Handelns der Bistumsverantwortlichen. Eine Beschränkung auf die bloße Rechtmäßigkeitskontrolle war gerade nicht vorgesehen. Einen derartig beschränkten Gutachtensauftrag hätten wir als unabhängige Gutachter im Bereich des sexuellen Missbrauchs von vornherein abgelehnt.“

    Am Freitag hatte das Erzbistum Köln ebenfalls angekündigt, bis zum 18. März 2021 eine „vollständige Neufassung der Untersuchung" erstellen lassen zu wollen, die der Kölner Strafrechtsexperte Björn Gercke verantworte. Die Entscheidung sei im Einvernehmen mit dem Betroffenenbeirat des Erzbistums am Donnerstag getroffen worden. Dieser hatte allerdings nach Informationen unserer Redaktion keine Einsicht in die Studie.

    Kardinal Woelki will das Missbrauchsgutachten für die Kirche nicht veröffentlichen.
    Kardinal Woelki will das Missbrauchsgutachten für die Kirche nicht veröffentlichen. Foto: Arne Dedert, dpa

    Dennoch erklärte Patrick Bauer, der Sprecher des Betroffenenbeirats, die Münchner Kanzlei habe schlecht gearbeitet und Missbrauchsopfer könnten ihr nicht mehr vertrauen. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit Kardinal Woelki wurde er sogar mit dem Satz zitiert: „Wir haben dem Kardinal geraten, die Zusammenarbeit mit Westpfahl Spilker Wastl sofort zu beenden und Schadensersatz zu fordern.“

    Die Münchner Kanzlei bestätigte nun am Montag, dass der Betroffenenbeirat ihre Studie nicht im Wortlaut kenne. Man habe „zwischenzeitlich gesichert erfahren“, dass dem Betroffenenbeirat noch nicht einmal angeboten worden sei, sich durch Lektüre unseres Gutachtens ein eigenes Bild zu machen, führte die Kanzlei aus. „Wir wurden daher aus dem Kreis der Betroffenen gebeten, unser Gutachten zur Verfügung zu stellen. Wir haben das Erzbistum gebeten uns mitzuteilen, ob und inwieweit von dortiger Seite Einwände dagegen bestehen, dass wir diese berechtigte Bitte erfüllen.“ Sollten Betroffene die Studie im Wortlaut lesen dürfen, hätte das sicher große Sprengkraft. Denn es ist davon auszugehen, dass das Versagen hochrangiger Kirchenmänner in ihr detailliert beschrieben wird.

    Ursprünglich sollte die Studie im März vorgestellt werden

    Ursprünglich hätte das Gutachten Mitte März veröffentlicht werden sollen. Zwei Tage, bevor es aber auf einer Pressekonferenz vorgestellt werden sollte, wurde diese abgesagt. Unter anderem hatte der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße interveniert, wegen datenschutz- und persönlichkeitsrechtlicher Aspekte. Der Münchner Anwaltskanzlei warf er vor, nicht gründlich zu arbeiten.

    Heße wurde 2006 Personalchef im Kölner Generalvikariat und 2012 Generalvikar – und damit „Alter Ego“ des 2017 gestorbenen früheren Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner. Auch an dessen öffentlichem Bild wären mit der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie wahrscheinlich tiefe Kratzer entstanden. Über Heße heißt es in dem Gutachten laut der ZEIT-Beilage Christ & Welt: „Dieser Befund gestattet die Schlussfolgerung, dass es sich bei den Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen basierend auf einer indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker." Heße wies das und andere Vertuschungsvorwürfe, die die Bild nach Recherchen erhob, vehement zurück.

    Was die Kölner Missbrauchsstudie angeht, ist nun einer der Streitpunkte der – wie das Gutachten – ebenfalls unbekannte Wortlaut des Gutachten-Auftrags, der mit der Münchner Kanzlei verabredet war. Üblich und erwünscht ist bei derartigen Gutachten, dass die beauftragten Anwälte auch Einschätzungen vornehmen. So geschehen im Falle eines Gutachtens über die Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen oder in einem Zwischenbericht zu Fällen im Bistum Mainz, die beide vom Regensburger Anwalt Ulrich Weber angefertigt wurden. Auch die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hat langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet. Für das Bistum Eichstätt etwa arbeitete sie den Finanzskandal auf und benannte Verantwortlichkeiten und Verantwortliche. Die Veröffentlichung ihrer Untersuchung von Missbrauchsfällen im Bistum Aachen ist noch für den November angekündigt.

    Sexueller Missbrauch am Johanneum – und wie die Kirche Betroffene finanziell unterstützt

    Pater W., der Christian Fischer missbrauchte, räumte 2010 ein, sich in den 70er und 80er Jahren an Minderjährigen vergangen zu haben. Zwei Jahre danach wurde er per kirchlichem Strafdekret aus Rom „dauerhaft jeglichen Dienstes in der Kirche enthoben und ihm geboten, ein Leben des Gebetes und der Buße innerhalb einer Kommunität der Ordensgemeinschaft zu führen“. Lokalzeitungen berichteten, dass er 1986 – wegen aufgekommener Missbrauchsvorwürfe – vom Johanneum nach Münster versetzt und dort bis Anfang 2010 als Seelsorger in einer Pfarrgemeinde in der Jugendarbeit und an Grundschulen eingesetzt wurde. Seit April ist er 75 Jahre alt.

    Insgesamt wird von mindestens zwölf Opfern – die Zahl dürfte weitaus höher liegen – und von bis zu acht Tätern am Johanneum ausgegangen. Keiner der mutmaßlichen Täter musste sich vor einem Gericht verantworten: Fälle waren verjährt, Beschuldigte gestorben.

    Die Kritik an den Hiltruper Missionaren, sie verweigerten sich einer aktiven, ernsthaften und umfassenden Aufarbeitung, ist bis heute ungebrochen. Opfer wie Christian Fischer werfen dem Orden unter anderem vor, vom Geschehen im Internat gewusst und es hingenommen zu haben. Erst Ende 2018 bat ein Ordensvertreter bei der Einweihung eines Gedenkortes auf dem Schulgelände die Opfer um Vergebung – nach „jahrelangem Schweigen“, wie ein Medienbericht vermerkte.

    Betroffene sexuellen Missbrauchs durch katholische Kleriker, Ordensangehörige oder Mitarbeiter im kirchlichen Dienst können auf Antrag „Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids“ in einer Höhe von in der Regel bis zu 5000 Euro erhalten. Hierzu müssen sie sich an die jeweiligen Missbrauchsbeauftragten eines Bistums oder Ordens wenden, in dessen Verantwortung der Täter zum Zeitpunkt der Tat stand, erklärt die Deutsche Bischofskonferenz. Eine Zentrale Koordinierungsstelle prüft die Anträge. Zudem können Opfer die Übernahme von Kosten für Therapien beantragen.

    Seit 2010 hat zum Beispiel die Diözese Augsburg nach eigenen Angaben für 76 Opfer insgesamt 574.684,11 Euro aufgebracht. Davon entfielen rund 71.200 Euro auf Therapiekosten. Bei der restlichen Summe handele es sich um Leistungen in Anerkennung des Leids. (wida)

    Das Erzbistum beauftragte zwei Professoren mit einer "Gegen-Studie"

    Das Erzbistum Köln hatte zur wissenschaftlichen Einschätzung der Qualität des Gutachtens der Münchner Kanzlei ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. In dem heißt es: „Das Gutachten der Rechtsanwälte Westpfahl Spilker Wastl leidet an durchgreifenden methodischen Mängeln, so dass die dort vorgenommene Zuschreibung persönlicher Verantwortlichkeit von Entscheidungsträgern des Erzbistums Köln aus rechtswissenschaftlicher Sicht im Ganzen zweifelhaft ist. Es ist als Grundlage für die Benennung von Verantwortung durch Tun oder pflichtwidriges Unterlassen nach kirchlichem und staatlichem Strafrecht auf Ebene der Entscheidungsträger des Erzbistums Köln keine taugliche Grundlage.“

    Eine derartige Begründung ist allerdings geeignet, echte Aufarbeitung zu verhindern. Schließlich muss hier der Eindruck entstehen, dass Institution und Amtsträger unantastbar bleiben sollten. In einem Kommentar formulierte es Matthias Drobinski von der Süddeutschen Zeitung so: „Was im Umgang mit den Missbrauchsbetroffenen rechtlich und kirchenrechtlich nicht zur Strafe führt, muss schon irgendwie in Ordnung gewesen sein.“

    Welchen für die katholische Kirche folgenschweren Inhalt das zurückgehaltene Kölner Missbrauchsgutachten haben könnte, lässt sich aus der Veröffentlichung von Passagen aus ihm erahnen, die sich im 22-seitigen Gegen-Gutachten finden. Dort heißt es über einen Kirchenmann etwa, dass dessen Verhalten auf „einen ausgeprägten und seine Haltung dominierenden Willen zum Täterschutz, der für berechtigte Opferinteressen keinen Raum lässt“, zurückzuführen sei. An anderer Stelle ist von „Ignoranz gegenüber der Opferperspektive“ oder von Verhaltensweisen wie in „totalitären Herrschaftssystemen“ die Rede. Es sind Einschätzungen, die sich ähnlich in anderen Untersuchungen zu Missbrauchsfällen in Reihen der katholischen Kirche wiederfinden und die immer wieder von Opfern bestätigt wurden. Derartige Befunde, noch dazu bis in Bistumsleitungen hinein, dürften auch das kirchliche Selbstverständnis und das Selbstverständnis gottgeweihter Priester erschüttern – und zur Frage führen: Muss sich daran, am Priesterbild, nicht etwas ändern, um auch künftig Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt verhindern zu können?

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kölner Missbrauchsstudie bleibt unter Verschluss: Ein Skandal!

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