Dass die Zahlen dramatisch werden würden, war abzusehen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte bereits im März ihre Austrittszahlen für 2021 bekannt gegeben: 280.000 Mitglieder kehrten ihr demnach den Rücken. Ähnliches war für die katholische Kirche zu erwarten. Am Montag, als die Deutsche Bischofskonferenz dann ihre aktuelle Kirchenstatistik veröffentlichte, kam das für nicht wenige dennoch einem Schock gleich: Im Jahr 2021 haben genau 359.338 Menschen die Kirche verlassen – 2020 waren es 221.390 gewesen.
Die Steigerung ist massiv und sie spiegelt dabei noch nicht einmal die Folgen des Münchner Missbrauchsgutachtens wider. Das wurde Anfang 2022 vorgestellt und löste eine bis heute anhaltende riesige Empörung und eine weitere Austrittswelle aus.
"Tief greifende Krise" für die katholische Kirche
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, sprach von einer „tief greifenden Krise". Es sei nichts schönzureden. Mittlerweile träten nicht nur die Menschen aus, die zu ihrer Pfarrei wenig oder keinen Kontakt gehabt hätten, „sondern es mehren sich Rückmeldungen, dass Menschen diesen Schritt gehen, die bisher in den Pfarreien sehr engagiert waren". Der Aufbruch, den man mit dem „Synodalen Weg" gehe, sei offenbar noch nicht angekommen.
Im Reformprozess Synodaler Weg zwischen den deutschen Bischöfen und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken geht es unter anderem um den Zölibat, die priesterliche Ehelosigkeit, oder das Thema Klerikalismus. Für Bätzing steht fest: „Die Skandale, die wir innerkirchlich zu beklagen und in erheblichem Maße selbst zu verantworten haben, zeigen sich in der Austrittszahl als Spiegelbild."
Damit ist auch sein Mitbruder Rainer Maria Woelki angesprochen, der wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen scharf kritisiert wird und über dessen Rücktrittsgesuch der Papst nach wie vor nicht entschieden hat. In Woelkis Erzbistum Köln traten 2021 40.772 Menschen (2020: 17.281) aus – mit Abstand die meisten aller 27 (Erz-)Bistümer.
Auch im Bistum Augsburg neuer Rekord an Kirchenaustritten
Auch im Bistum Augsburg stieg die Zahl spürbar von 13.042 im Jahr 2020 auf 19.884 im Jahr 2021. Damit lag sie über der Zahl des bistumseigenen und bistumsübergreifenden Negativrekordjahres 2019: Damals gab es im Bistum Augsburg 15.532 Kirchenaustritte, bundesweit waren es 272.771.
Damals machten Katholikinnen und Katholiken 27,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, inzwischen liegt ihr Anteil bei 26 Prozent. Der Augsburger Bischof Bertram Meier zeigte sich vom Anstieg nicht überrascht und nannte ihn „traurig". „Die vielen Gründe, der Kirche den Rücken zu kehren, bündeln sich auch in der Frage nach unserer Vertrauenswürdigkeit. Viel Vertrauen ist verspielt, wir können es nur geduldig und glaubwürdig wiedergewinnen", sagte er.
Für die Reformbewegung „Wir sind Kirche" stellen die Zahlen einen „immer dramatischer werdenden Beweis“ dar, „wie schlecht es um das Vertrauen des Kirchenvolks in die Kirchenleitung bestellt ist“. Wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden wollen, müssten sich alle 27 Ortsbischöfe „noch sehr viel deutlicher um die Missbrauchsaufarbeitung in ihrem Bistum bemühen sowie möglichst geschlossen für die dringendst anstehenden Reformen auf dem Synodalen Weg für Deutschland eintreten".