Von allen Beteiligten fallen die Worte des Bedauerns und der Enttäuschung: Das Vorhaben der Großen Koalition, die Rechte von Kindern im Grundgesetz zu stärken, ist überraschend gescheitert. Während sich die Parteien untereinander die Schuld zuschieben, spricht der Kinderschutzbund von einer Blamage.
„Vor knapp 30 Jahren hat Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert und fast ebenso lang prüfen Bundesregierungen die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz“, sagt Kinderschutzbund–Präsident Heinz Hilgers „Dass dies nun ausgerechnet in der Pandemie scheitert, in der die Interessen der Kinder immer wieder hinten runtergefallen sind, ist peinlich und für Familien deprimierend“, betont er.
Urteile des Verfassungsgerichts reichen nicht für Kinderrechte
„In der Pandemie wurde viel über Grundrechte diskutiert, über Gewerbefreiheit, Bewegungsfreiheit oder die Freiheit der Kunst, aber dabei ging es immer nur um Erwachsenen-Grundrechte, nicht um die Rechte der Kinder, etwa auf Bildung“, kritisiert Hilgers. „Deshalb ist dieses Signal zum jetzigen Zeitpunkt besonders bitter.“
Außer der AfD sind sich inzwischen im Prinzip alle Parteien einig, dass die Rechte von Kindern besonders in der Verfassung hervorgehoben werden sollen, auch wenn viele Gesetze und auch Urteile des Verfassungsgerichts rechtlich um das Kindeswohl kümmern. "Es stimmt, dass das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Urteilen auch die Rechte der Kinder klar definiert hat", sagt Kinderschutzbund-Präsident Hilgers. "Aber ein bloßes Richterrecht nach Rechtsprechung ist der Bedeutung dieses Themas nicht angemessen", betont er.
"Mit klaren Grundrechten kommen Gerichte und Behörden nicht umhin, den Belange der Kinder stärker gerecht zu werden", sagt Hilgers. "Der Staat wäre verpflichtet, kindgerechte Lebensbedingungen zu schaffen, den Kindern Schutzrechte und Förderungen zu gewähren."
Union spricht von "roten Linien" bei mehr Kinderrechten
SPD und Union hatten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz sogar als wichtiges Ziel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, gleichwohl sind die Regierungsparteien für eine Verfassungsänderung bei der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Opposition angewiesen.
Doch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, die nebenbei das Familienministerium führt, hatte die Verhandlungen am Montagabend überraschend für gescheitert erklärt. Sie sei auch persönlich „zutiefst enttäuscht darüber“, sagte die SPD-Politikerin. Lambrecht, wirft Union und Opposition einen fehlenden Willen zur Einigung vor.
Auch FDP-Fraktionsvizechefin Katja Suding betont, sie sei sehr enttäuscht. „Die Blockaden insbesondere von CDU und Grünen waren zu groß“, kritisiert die FDP-Politikerin. „Maßlos enttäuscht“, zeigt sich auch die Grünen-Familienpolitikerin Ekin Deligöz. Sie weist aber, die Kritik an ihrer Partei zurück. „Wir haben uns konstruktiv in die Verhandlungen eingebracht, aber für Symbolpolitik stehen wir nicht zur Verfügung“, rechtfertigt Deligöz die Haltung, auf die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ohne Abstriche zu beharren.
Auch die Union will nicht die Vorwürfe auf sich sitzen lassen. „Ich bedauere, dass es nicht möglich war, einen Kompromiss zu den Kinderrechten zwischen Union, SPD, Grünen und FDP hinzubekommen“, sagt Fraktionsvize Thorsten Frei. Alle Seiten hätten sich ernsthaft bemüht. „Wir waren auch zu Kompromissen bereit, allerdings nicht dazu, das rechtlich fein austarierte Verantwortungsdreieck zwischen Eltern, Kindern und dem Staat in Richtung des Staates zu verschieben. Über diese rote Linie konnten und wollten wir nicht gehen.“
Hinter dem Streit um Kinderrechte steht ein alter Konflikt
Hinter dem Streit stehe ein Grundkonflikt, sagt Kinderschutzbund-Präsident Hilgers. „Auf der einen Seite fürchten vor allem Konservative einen Einfluss des Staats auf die Rolle und die Rechte der Eltern. Auf der anderen Seite steht das Bild, dass Kinder eigenständige Menschen mit Menschenrechten sind.“ Hilgers steht klar auf der letzteren Seite: „Zu echten Kinderrechten gehören Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern sowie der Vorrang des Kindeswohls.“
Die Frage dieses "Vorrangs" war einer der Gründe, warum Grüne und Union am Ende soweit auseinanderlagen, dass eine Einigung scheiterte. Auch Kinderschutzbund-Präsident Hilgers kritisiert, dass in diesem Punkt, die Entwürfe der Regierungspartei sogar hinter der fast 30 Jahre alten UN-Kinderrechtskonvention zurückblieben, weil darin nur eine angemessene Berücksichtigung anstatt eines Vorrangs des Kindeswohls formuliert wurde.
Kinderschutzbund fordert schnelle Änderung nach Bundestagswahl
„Ein Beispiel: Wenn ein Kind im Alter von drei Jahren aus einer Familie in Obhut einer Pflegefamilie genommen werden muss, dann hätte es mit echten Kinderrechten im Grundgesetz beim Vorrang des Kindeswohls und dem Anspruch auf Beteiligung, das Recht mitzuentscheiden, ob es nach zehn Jahren mit 13 zurück zu den leiblichen Eltern will oder in der Pflegefamilie bleiben will“, erklärt Hilgers.
„Wir fordern, dass die Parteien jetzt die schnelle Aufnahme der Kinderrechte in Grundgesetz jetzt in ihre Wahlprogramme schreiben und zwar mit einem konkreten inhaltlichen Vorschlag sowie einer klaren Frist", sagte er. "Man kann das Thema nicht noch mal drei Jahre in Arbeitsgruppen versenken und dann kurz vor der Wahl versuchen, schnell eine Zwei-Drittel-Mehrheit zusammen zu bekommen. Das funktioniert nicht."
Tatsächlich hat der Kinderschützer die Hoffnung, dass es in der nächsten Wahlperiode doch noch zu einer echten Aufwertung der Kinderrechte kommt. Zwei Bundesländer hätten es kürzlich vorgemacht haben. "In Hessen gab es ein überragendes Ergebnis in einer Volksabstimmung und auch Bremen hat gezeigt, dass ernstgemeinte Kinderrechte in der Landesverfassung erreichbar sind", sagt Hilgers. "In beiden Fällen hat auch die Union der Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung zugestimmt."
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