Es scheint, als wäre aus einer grauen Maus im Kabinett ein zähnefletschender Tiger geworden, der die ganz großen Tiere das Fürchten lehrt. Der mächtige Kanzler Olaf Scholz, der selbstbewusste Vizekanzler Robert Habeck und vor allem der streitbare Finanzminister Christian Lindner – sie alle hat Familienministerin Lisa Paus in dieser Woche vorgeführt. Im Streit um die Kindergrundsicherung schaltete sie auf stur, blockierte im Kabinett das Wachstumschancengesetz, das die darbende Wirtschaft entlasten soll.
Lindners FDP sieht das als plumpen Erpressungsversuch, Regierungschef Scholz (SPD) ist blamiert, hatte er doch den deutschen Unternehmen rasche Hilfe gegen die heraufziehende Rezession versprochen. Und der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Habeck, der dem Gesetz bereits zugestimmt hatte, wirkt durch den offenbar mit niemandem abgestimmten Alleingang seiner Parteifreundin in seiner Autorität beschädigt. Dabei hatten alle drei Koalitionspartner nach dem monatelangen Zoff um das misslungene Heizungsgesetz versprochen, nach der parlamentarischen Sommerpause fairer und friedfertiger miteinander umzugehen. Ausgerechnet ein Mitglied, von dem die Öffentlichkeit bisher kaum Notiz nahm, versetzt die Ampel-Bundesregierung nun in Aufruhr.
Unternehmertochter Paus auf Linkskurs
Wenn für die Wirtschaft Geld da sei, dann müsse auch für arme Kinder welches da sein, so argumentiert die Unternehmertochter, deren inzwischen verstorbener Vater 1968, dem Jahr ihrer Geburt, eine Maschinenfabrik gegründet hatte. Ohne materielle Sorgen aufgewachsen, absolvierte Lisa Paus nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Hamburger Kinderheim, wo sie mit dem Schicksal von Mädchen und Jungen in Not konfrontiert wurde. Für ihr elfjähriges Studium der Politik und Volkswirtschaft zog sie anschließend nach Berlin, dort trat sie den Grünen bei.
Schnell machte sie in der Partei Karriere, zog innerhalb weniger Jahre in den Landesvorstand und ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. 2009 wurde sie in den Bundestag gewählt. Lange bestellte sie vor allem das wirtschaftspolitische Feld. Für das Mitglied des linken Flügels eines als in sozialen Fragen als tiefrot geltenden Landesverbands bedeutete das in der Regel Forderungen nach mehr Umverteilung, von der gerade auch arme Kinder profitieren sollten. Mit Olaf Scholz geriet sie schon einmal heftig aneinander: Den damaligen Bundesfinanzminister kritisierte sie im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss scharf.
Als Ministerin rückte Lisa Paus nach
Als die Grünen dann mit SPD und FDP die Ampel-Regierung bildeten und über die Besetzung der ihnen zugesprochenen Ministerien diskutierten, spielte Paus zunächst keine Rolle. Annalena Baerbock übernahm das Auswärtige Amt, Habeck wurde Superminister, Cem Özdemir bekam das Landwirtschaftsministerium – alle drei gehören dem pragmatischen Realo-Flügel an. Der linken Strömung blieben zwei Häuser, die in der Hackordnung der Ministerien hinten liegen: Neben dem Umweltressort, das an Steffi Lemke ging, das Familienministerium, das zunächst Anne Spiegel leitete.
Dass die Fundis sich stiefmütterlich behandelt fühlten, sollte für Lisa Paus noch wichtig werden. Denn Spiegel trat schon nach vier Monaten zurück. Sie war wegen ihres Verhaltens als rheinland-pfälzische Umweltministerin während und nach der Flutkatastrophe im Ahrtal in die Kritik geraten. Um die innerparteiliche Balance zu wahren, brauchte die Grünen-Spitze nun eine Politikerin, an deren linken Überzeugungen nicht der leiseste Zweifel bestehen durfte. So fiel die Wahl auf Paus. Sie sollte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung umsetzen, so hieß es.
Kindergrundsicherung: Beim Hauptanliegen ihrer Amtszeit holpert es
Die verwitwete Mutter eines Sohnes erklärte das Projekt zum Hauptanliegen ihrer Amtszeit. Doch dabei geriet sie heftig mit der FDP aneinander. Die interpretiert das Vorhaben vor allem als Zusammenfassung bereits bestehender Leistungen, die künftig ohne Antrag bezahlt werden sollen. Das Ziel, Familien mit Nachwuchs besser zu unterstützen, sei durch das höhere Kindergeld bereits erreicht. Paus dagegen beharrt darauf, dass arme Familien mehr Geld bekommen sollen. Wie viel und nach welchen Kriterien, ließ sie indes offen. Im Geldpoker mit dem abgeklärten Finanzminister Lindner agierte sie ungeschickt. Ihre ursprüngliche Forderung von zwölf Milliarden Euro wies der FDP-Chef brüsk zurück.
Später war im Paus-Ministerium nur noch von einem Betrag zwischen zwei und sieben Milliarden Euro die Rede. Das wirkte wenig souverän. Selbst erklärte Anhänger der Kindergrundsicherung verloren zunehmend die Geduld. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Roloff etwa twitterte: „Wenn ich das Wort Kindergrundsicherung noch mal höre oder lese, ohne Konzept und Finanzierung, schreie ich …“ Am Freitagnachmittag dürfte Roloff und anderen dann der sprichwörtliche Kragen geplatzt sein. Paus hatte kurzfristig eine Pressekonferenz einberufen und beteuert, dass ein Entwurf „demnächst“ den Ministerkollegen zugehe. Neue Details zum Vorhaben verriet sie nicht, Nachfragen verbat sie sich, auf den Eklat im Kabinett ging sie mit keinem Wort ein.
Den Ampel-Streitdürfte der seltsam trotzige Auftritt kaum entspannen. Auch die gemäßigteren Kräfte innerhalb der Grünen sind sauer auf Paus: Sie verstärke das Bild der Partei als völlig zerstrittenem Haufen, vor den wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Bayern koste das Zuspruch. Aus dem linken Fundi-Flügel bekommt Paus dagegen Zuspruch, mausert sich gar zum Idol derer, die sich von SPD und vor allem FDP über den Tisch gezogen fühlen. Zu viele Kröten hätten die Grünen schlucken müssen: In der Energiekrise wurden Gasterminals gebaut und die letzten Atomkraftwerke länger betrieben, die einzelnen Ministerien aus der Verantwortung für ihre Klimaziele entlassen und das ursprünglich ambitionierte Heizungsgesetz deutlich entschärft. Bei der Kindergrundsicherung, so der Tenor vieler enttäuschter Grüner, habe Paus nun endlich einmal eine rote Linie gezogen.