Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Keir Starmer Sieger der Großbritannien-Wahl

Wahlen in Großbritannien

Keir Starmers langer Weg an die Macht

    • |
    • |
    Der neue Mieter in Downing Street 10 ist nun Labour-Chef Keir Starmer.
    Der neue Mieter in Downing Street 10 ist nun Labour-Chef Keir Starmer. Foto: Kin Cheung, AP/dpa

    Am Ende wirkt Keir Starmer nur erleichtert. „Wir haben es geschafft“, rief er seinen jubelnden Anhängern am frühen Freitagmorgen in London entgegen. Starmer verspricht ein „Zeitalter der nationalen Erneuerung“, räumt aber auch ein, dass der Wandel nicht einfach sein werde. Eine veränderte Labour-Partei sei nun bereit, „Großbritannien wieder in den Dienst der arbeitenden Menschen zu stellen”.

    Die Labour-Partei hat die Wahlen in Großbritannien klar gewonnen. Starmer hat damit in gewisser Weise ein Wunder vollbracht, sagt Tim Bale von der Queen Mary University of London. Denn die meisten Experten hätten 2019 wohl gelacht, wenn man ihnen gesagt hätte, dass die Partei in fünf Jahren gewinnen könnte. Starmer machte deutlich, dass die Partei in die Mitte des politischen Spektrums gerückt sei, weg vom radikalen Sozialismus der Jahre von Jeremy Corbyn. „Das ist bedeutungsvoll für jene, die sich von den Konservativen abwenden“, so der Politologe. Und das taten die Briten nun in Scharen. 

    Der scheidende britische Premierminister Rishi Sunak und seine Frau Akshata Murty beim Verlassen eines Wahllokals nach der Stimmabgabe.
    Der scheidende britische Premierminister Rishi Sunak und seine Frau Akshata Murty beim Verlassen eines Wahllokals nach der Stimmabgabe. Foto: Scott Heppell, AP/dpa

    Starmer ginge auch in der Politik eher vor wie ein Anwalt vor, sagt sein Biograf Tom Baldwin. Er beginne mit kleinen, praktischen Manövern und arbeite sich vorwärts. „No-Drama-Starmer” war der Spitzname, den die britischen Medien dem Sozialdemokraten schon im Wahlkampf verpasst hatten. Briten gähnten, wenn er zum millionsten Mal erzählte, sein Vater habe in seiner eigenen Fabrik gearbeitet. Er wirke wie ein „politischer Roboter“, hat ihm ein Wähler ins Gesicht gefeuert. Dass er trotzdem triumphierte, sagt viel über die politische Lage auf der Insel aus. 

    Nach all den Dramen und dem Chaos der letzten Jahre unter den Tories wird Starmer geschätzt. Boring is good, langweilig ist gut. Viele sehen in seiner zurückhaltenden Art, seiner Weigerung, falsche Versprechungen zu machen, nach den aufreibenden Jahren unter der Tory-Partei ein Erfolgsrezept. „Die Menschen brauchen Hoffnung, aber es muss das sein, was ich eine normale Hoffnung nenne, eine realistische Hoffnung”, sagte Starmer kürzlich. 

    Keir Starmers Erfolg erinnert an Tony Blair

    Seine Taktik ging auf. Der 61-Jährige ist der siebte Labour-Premierminister in der Geschichte des Landes. Es war ein Erdrutschsieg, der jenen von Tony Blair im Jahr 1997 fast gleichkam. Doch ansonsten hinkt der Vergleich mit dem früheren Labour-Premier. Mitte der 1990er-Jahre herrschte nach langen Jahren unter den Tories und einer zuletzt schwierigen Amtszeit für den konservativen Premier John Major im Königreich eine optimistische Aufbruchstimmung. Unter Blairs Regierung kam es zu einer gesellschaftlichen Modernisierung, die Großbritannien international den Ruf „Cool Britannia“ einbrachte. Doch Starmer hat einen deutlich schwierigen Start. Anders als damals sind die Staatskassen praktisch leer und die Liste der zu bewältigenden Probleme lang.  

    Das Wahlprogramm der Partei liste die Herausforderungen im Gesundheitswesen, den Schulen und in der öffentlichen Verwaltung präzise auf. Die Lösungen, die die Partei, anbiete, seien ihnen jedoch nicht gewachsen, urteilt die Denkfabrik Institute for Governance. Der Politologe Karl Pike von der Queen Mary University of London befürchtet, dass sich der Labour-Chef mit Zusagen zu den Dingen, die er nicht machen will, ein zu enges Korsett angelegt hat.

    Starmer war einst ein überzeugter Remainer, also gegen den Austritt aus der EU. Seit er Vorsitzender der Labour-Partei ist, distanziert er sich und seine Partei von dieser Position. Er habe keine Ambitionen, die Debatte neu zu eröffnen oder dem EU-Binnenmarkt oder der Zollunion wieder beizutreten. Doch woher soll das versprochene Wachstum dann kommen? Auch die Einkommenssteuer, die Sozialabgaben und die Mehrwertsteuer sollen nicht erhöht werden.

    Keir Starmer gilt als detailversessener Arbeiter

    Weggefährten beschreiben Starmer als gewissenhaft und detailversessen. „Ich glaube, er macht Politik genauso wie er Recht macht“, sagt Ken Macdonald, Starmers Vorgänger als Generalstaatsanwalt. „Er sorgt nicht für ein Feuerwerk, aber er hat die meisten seiner Fälle gewonnen, weil er die Materie perfekt beherrscht.“ Besonders beliebt gemacht hat sich Starmer bislang jedoch nicht. YouGov-Umfragen zufolge hat nur knapp ein Viertel der Britinnen und Briten eine positive Meinung über ihn. Auch das ist historisch für einen neuen Premierminister. „Sicher wird er sich aber in Zukunft etwas entspannter präsentieren, nun da der Wahlkampf vorbei ist und er so eine große Mehrheit hat“, erklärt Sophie Stowers von der Denkfabrik UK in a Changing Europe.

    Starmers Weg in die von einer elitären Oberschicht geprägte britische Politik war keineswegs vorgezeichnet. Sein Vater war Werkzeugmacher, seine Mutter Krankenschwester. Sie litt an „Morbus Still“, einer seltenen Krankheit mit schweren rheumatischen Schüben. „Man sagte ihr oft, dass sie nie wieder gehen würde.“ Aber dann sei sie doch wieder gegangen, „immer und immer wieder“, erinnert er sich. Mit ihren Problemen habe sie sich nie aufgehalten. Starmer war das einzige von vier Kindern, der eine weiterführende Schule besuchte, die einen höheren Bildungsabschluss ermöglichte. 

    Danach verließ er die südenglische Grafschaft Surrey, um in Leeds und Oxford Jura zu studieren. Anschließend arbeitete er als Menschenrechtsanwalt. Starmer sorgte in den 2000er-Jahren dafür, dass sich die Polizei in Nordirland an die Menschenrechtsgesetze hält. Einer seiner größten Erfolge war der sogenannte McLibel-Fall, ein Rechtsstreit zwischen der Fast-Food-Kette McDonalds und Umweltaktivisten, die dem Konzern Umweltzerstörung vorwarfen. McDonalds wurde weitgehend geschlagen, das Recht auf freie Meinungsäußerung gestärkt. Er war mit seiner Londoner Kanzlei zudem maßgeblich an der Abschaffung der Todesstrafe in Uganda beteiligt. Damit rettete das Team mehr als 400 Menschen das Leben, viele davon unter 18 Jahre alt.

    Als Generalstaatsanwalt griff Starmer hart durch

    2008 wurde Starmer von der Labour-Regierung unter dem damaligen Premierminister Gordon Brown zum Generalstaatsanwalt ernannt und wechselte damit quasi die Seiten. Freunde betonen, dass er sich durch dieses Amt verändert, dem Establishment angenähert habe. Tatsächlich griff er ein seiner Rolle als Generalstaatsanwalt teilweise hart durch, etwa bei den gewalttätigen Unruhen in England im Jahr 2011, als Tausende selbst wegen geringfügiger Vergehen mit hohen Strafen rechnen mussten. 

    Für seine Verdienste als Generalstaatsanwalt in dem Amt wurde Starmer 2014 zum Ritter geschlagen und ist seitdem „Sir Keir”. Seine Eltern seien damals mit ihrem alten Volvo vor dem Buckingham-Palast vorgefahren, weil seine Mutter nicht mehr laufen konnte. „Sie waren sehr stolz”, erinnert sich der Oppositionsführer. 

    Auf die Frage, warum er in die Politik gegangen sei, antwortete er kürzlich: Er habe sein ganzes Leben lang versucht, Veränderungen zu bewirken, und sei irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass dies nur im Parlament und noch genauer in der Regierung möglich sei. 2014 gewann er einen Sitz im Parlament. 2016 wurde er zum Brexit-Beauftragten ernannt. 

    Jeremy Corbin hatte einen Scherbenhaufen hinterlassen

    Nachdem der als radikal links geltende Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn nach der krachenden Niederlage der Partei bei den Parlamentswahlen 2019 seinen Rücktritt angekündigt hatte, wurde Starmer im April 2020 zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er wolle die Partei einen und umkrempeln, versprach er. Vor ihm lag eine Mammutaufgabe. Schließlich kämpfte Labour mit internen Spaltungen, eine langwierige Antisemitismusdebatte lähmte die Partei. Vor allem mit den linken Kräften ging der Politiker hart ins Gericht, was ihm auch Kritik aus den eigenen Reihen einbrachte.  

    Starmer gilt als ehrgeizig, auch wenn es um sein liebstes Hobby geht. Er spielt in seiner Freizeit Fußball und ist überdies ein leidenschaftlicher Fan. In Interviews spricht er entflammt davon, wie es sich anfühlt, im Londoner Emirates-Stadion zu sitzen.

    Schweigsamer wird er, wenn es um seine Familie geht. Die Namen seiner 13-jährigen Tochter und seines 16-jährigen Sohnes nennt er nie. Seine Frau Victoria Starmer arbeitet für das staatliche Gesundheitssystem NHS, in der Öffentlichkeit tritt die Anwältin selten auf. Das wird sich nach Ansicht des Labour-Chefs auch in Zukunft nicht ändern. Als am Freitagmorgen klar wurde, dass er der neue Premierminister wird, war seine Frau jedoch dabei. Sie fielen sich in die Arme und küssten sich - ganz öffentlich. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um Kommentieren zu können müssen Sie angemeldet sein

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden