Der Kardinal sitzt am Schreibtisch in seinem schwarzen Talar und blickt in den Computer. Ein Kronleuchter prangt über dem Haupt von Gerhard Ludwig Müller. Hinter ihm sind zwei große Bücherregale zu sehen, in denen einiges des theologischen Wissens dieses Kurienkardinals lagern dürfte. Doch Kardinal Müller, früherer Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan und seit Juni Richter an der Signatura Apostolica – dem höchsten Kuriengericht –, sagt in diesem Videointerview Sätze, die ihn in die Ecke der Verschwörungstheoretiker rücken.
Es ist nicht so, dass sich der 73-jährige Mainzer in den zweieinhalb auf Twitter veröffentlichten Interview-Minuten mit dem erzkonservativen St.Bonifaz-Institut in Österreich um Kopf und Kragen geredet hätte. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass der Theologe und frühere Bischof von Regensburg sich derart äußert. Doch woher kommt die Nähe zum Populisten-Milieu? Der Kardinal, der, sollte er bei der nächsten Papstwahl noch nicht 80 sein, wahlberechtigt sein wird, sagt unbelegte Dinge, die es in sich haben.
Nähe zu Querdenkern: Kardinal Müllers Vergleiche hinken immer häufiger
Müller erkennt etwa den Willen einiger, „die Menschen jetzt gleichzuschalten“ und „einer totalen Kontrolle zu unterziehen, einen Überwachungsstaat zu etablieren“. Immer wieder hat der Kardinal schiefe Vergleiche zum Totalitarismus gezogen, zuletzt etwa, als er einen Beschluss des Synodalen Weges in Deutschland mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis verglich. Es hinkt immer häufiger, wenn Müller spricht.
So auch in dem Ausschnitt des am 6. Dezember veröffentlichten Interviews. Als Hintermänner des totalitären Ansinnens nennt Müller den Gründer des Davoser Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab, Microsoft-Gründer Bill Gates und US-Investor George Soros, Namen, die auch Rechtspopulisten gerne als Verantwortliche eines Weltumsturzes anführen. Diese Herren säßen „auf dem Thron ihres Reichtums“, um von dort aus „ihre Agenda durchzusetzen, eine Agenda, die auf Hochstapelei beruht“, sagt Müller. Sie hätten die zu verurteilende Meinung, „wir könnten mithilfe der modernen Technik und des Kommunikationswesens eine neue Schöpfung hervorrufen, einen neuen Menschen erschaffen, nach ihrem Bild und Gleichnis“.
Die Worte von Kardinal Müller sind Futter für Verschwörungstheoretiker
Man muss sich nicht auf die Seite dieser Männer schlagen, um Müllers Worte als extrem und Futter für Verschwörungstheoretiker einzustufen. Die gedankliche Nähe zum rechtsextremen Querdenker-Spektrum ist nicht zu übersehen. Gemeinsam haben konservative Katholiken und rechte Verschwörungstheoretiker vor allem ihre Feindbilder, die gewiss einflussreich und kritikwürdig sind, aber vor allem für Liberalität anstatt für christlich geprägten Traditionalismus stehen. Der konservative Katholizismus, den Müller repräsentiert, fordert Bewahrung und Schutz der kirchlichen Traditionen wie der Heterosexuellen vorbehaltenen Ehe, des Zölibats, der scharfen Trennung von Katholizismus und Protestantismus. Dass Papst Franziskus hier die Grenzen auflockert, verstört sie. Auch Gottesdienstverbote und Impfungen stoßen konservativen Katholiken auf. Die Impfungen, weil die Hersteller von Vektor-Impfstoffen wie AstraZeneca und Johnson & Johnson auf Zellen zweier 1973 und 1985 abgetriebener Föten im Produktionsverfahren zurückgriffen. Der Vatikan sah darin für Katholiken allerdings kein Hindernis, sich impfen zu lassen.
Dass es sich bei Müllers Aussagen nicht um einen Ausrutscher handelt, belegt die Unterzeichnung eines umstrittenen Appells im Mai vergangenen Jahres. Der erzkonservative Kurienbischof und ehemalige Vatikan-Nuntius in den USA, Carlo Maria Viganò, warnte damals schon vor einer mithilfe der Pandemie errichteten „Weltregierung“, die sich jeder Kontrolle entziehe. Corona werde als Vorwand genutzt, um „Grundfreiheiten unverhältnismäßig und ungerechtfertigt“ einzuschränken. „Supranationale Einheiten“ verfolgten auf diese Weise „politische und wirtschaftliche Interessen“.
Müller unterschrieb und wollte nach lauter Kritik an seiner Unterschrift dann doch nur seinem Freund Viganò einen Gefallen getan und einen „Appell zum Nachdenken“ unterzeichnet haben. Viganò gehört zur erzkonservativen Clique, die Papst Franziskus so schnell wie möglich loswerden will, er forderte ihn sogar öffentlich zum Rücktritt auf. Müller hat auch so seine Zweifel am Lehramt des Argentiniers Jorge Bergoglio, will aber der Figur des Papstes keinen Schaden antun und schrieb ein ausführliches Kompendium zum Thema. Die fachliche Abneigung beruht allerdings auf Gegenseitigkeit. Franziskus entließ den Kardinal, einen Gefährten Benedikt XVI., 2017 als Präfekt der Glaubenskongregation.