Herr Batlogg, woran denken Sie, wenn mal wieder der Name des umstrittenen Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki fällt?
Andreas R. Batlogg: Wir haben es hier mit einer tragischen Situation zu tun – und mit einer Hängepartie. Sein Rücktrittsgesuch liegt ja auf dem Schreibtisch des Papstes. Ich würde mir wünschen, dass der Apostolische Nuntius in Deutschland zu Franziskus sagt: "Es geht nicht mehr. Der Kölner Kardinal führt die Menschen nicht zusammen, sondern spaltet."
Der Papst aber – Jesuit wie Sie – beendet die Hängepartie nicht.
Batlogg: Er sagte, unter Druck könne man nicht gut entscheiden. Das stimmt. Aber die Entscheidungsfindung dauert bereits recht lange – und der Fall Woelki, dessen Umgang mit Missbrauchsbetroffenen hat negative Auswirkungen auf die Deutsche Bischofskonferenz und auf die Kirche in Deutschland. Gleichwohl: Der Rücktritt einer Person ändert nichts an den systemischen Problemen.
Müssen Sie sich angesichts der kirchlichen Skandale inzwischen für Ihr Katholischsein rechtfertigen?
Batlogg: Ja, bis hinein in meinen Freundes- und Verwandtenkreis. Da bekomme ich manchmal mitleidig zu hören: "Du kannst ja nicht anders als Jesuit und Priester!" Ich stelle mir schon auch die Frage: "Warum bleibe ich in dieser Kirche?" Mit frommen Phrasen oder Totschlagargumenten überzeugt man niemanden mehr davon. Wenn gelogen oder um den heißen Brei herumgeredet wird, wenden sich Menschen ab – selbst aus den Kernschichten der Kirche.
Wird der Reformprozess "Synodaler Weg" zwischen Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken daran mittelfristig etwas ändern können?
Batlogg: Absolut. Und ich erinnere wieder und wieder daran: Der Synodale Weg ist initiiert worden unter dem Schock der "MHG"-Studie über die Missbrauchsfälle in Reihen der katholischen Kirche in Deutschland. Die Erkenntnis ist gereift: Es geht nicht nur um einzelne Priester, die Täter wurden, und um Bischöfe, Generalvikare oder Personalchefs, die damit schlecht umgegangen sind. Nein, es geht vor allem um systemische Ursachen. Also müssen wir über die kirchliche Sexualmoral, über die priesterliche Lebensform, über Gewaltenteilung reden. Der Synodale Weg ist der beste Weg hierfür – auch wenn er verteufelt wird und ständig das Gespenst eines deutschen Sonderwegs gezeichnet wird.
Katholisch-Konservative halten den Synodalen Weg für den Weg in die Kirchenspaltung. Anderen – wie dem Vorsitzenden des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Gregor Podschun – geht er nicht weit genug. Er twitterte: Es werde nur "Reförmchen" geben.
Batlogg: Es gibt hohe Erwartungen und eine Gereiztheit, die ich sehr bedauere. Ich halte einige Wortmeldungen sogar für unchristlich. Aber der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, und viele andere Bischöfe, stehen hinter dem Synodalen Weg. Er ist aus meiner Sicht alternativlos. Wir können doch den Kopf nicht in den Sand stecken, nur weil es oft sehr polemischen, theologisch dürftigen und argumentativ schwachen Widerstand gibt. Die Kirche muss erneuert werden – und das übrigens immer und zu jeder Zeit.
Auch aus dem Vatikan kommt immer wieder Kritik.
Batlogg: Der Synodale Weg ist zu einer riesigen Projektionsfläche geworden, und eines muss klar sein: Wir werden in Deutschland weder die Priesterweihe für Frauen einführen noch den Zölibat abschaffen können.
Aber?
Batlogg: Aber man kann dem Papst unsere Problem- und Debattenlage aufzeigen – auch mit eindeutigen Voten von Laien und Bischöfen. Wobei auch das klar ist: Vieles wird in Rom entschieden.
Oder eben nicht.
Batlogg: Es gibt nachgerade traumatische Erfahrungen und Erinnerungen, das stimmt schon. Ich denke an die Würzburger Synode in den 1970er Jahren.
Bereits auf dieser sprach man sich für ein Diakonat der Frau aus …
Batlogg: … und zig Voten der Würzburger Synode wurden von Rom immer noch nicht beantwortet. Verständlich, dass das zu einer gewissen Frustration führt.
An diesem Donnerstag beginnt in Frankfurt die Vierte Synodalversammlung, Anfang nächsten Jahres geht der Synodale Weg zu Ende. Welches konkrete Ergebnis erhoffen Sie sich?
Batlogg: Ich hielte es für sinnvoll, wenn der Synodale Weg "auf Dauer gestellt" werden würde, wie das einige Stimmen schon vorgeschlagen haben. Wenn es also ein wie auch immer zusammengesetztes Beratungs- und Entscheidungsgremium von Laien und Bischöfen gäbe.
Für Kritiker wäre das nicht mehr römisch-katholisch.
Batlogg: Ich wundere mich über solche Aussagen sehr. Die sakramentale Architektur der Kirche bleibt, das steht völlig außer Frage. Innerhalb dieser Architektur müssen wir allerdings nach neuen Wegen der Leitung suchen.
Letztlich liegt es – neben Rom – an jedem einzelnen der 27 deutschen Ortsbischöfe, was er umzusetzen bereit ist.
Batlogg: Es wird eine Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten geben. Ein eher reformorientierter Bischof wie Georg Bätzing wird manches anders angehen als ein Augsburger Bischof Bertram Meier.
Der empfahl kürzlich eine "Atempause" und verweist bei Reformfragen stets auf den laufenden weltkirchlichen synodalen Prozess, der im Oktober 2023 in einer Weltbischofssynode münden soll.
Batlogg: Es geht um ein gemeinsames Suchen nach dem Willen Gottes, und das ist ein spiritueller Vorgang. Es geht in der Kirche nicht zu wie bei Tarifverhandlungen. Der Missbrauchsskandal, der in Deutschland 2010 publik wurde, war jedoch ein Tsunami – darauf müssen wir eine adäquate Antwort geben. Und natürlich müssen wir unsere Anliegen in den weltkirchlichen synodalen Prozess einspeisen. Wenn wir bloß um uns selbst kreisen und zu einem Sakristei-Christentum werden wollten, dann wäre das keine zukunftsfähige, alltags- und krisentaugliche und belastbare Kirche.
Bei der Amazonas-Synode 2019 stimmte eine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe für die Weihe bewährter verheirateter Männer im Amazonas-Gebiet. Der Papst ging darüber hinweg.
Batlogg: Das war für mich enttäuschend. Wenigstens für diese weitläufige und priesterarme Region hätte er den Zölibat freistellen können. Ich war traurig, dass er diesen Schritt nicht gegangen ist.
Er ist ein absoluter Monarch. Er hätte das durchsetzen können.
Batlogg: Er spürte wohl, dass das eine Signalwirkung gehabt hätte und dachte, eine derartige Entscheidung sei noch nicht reif. Als Papst muss Franziskus trotz allem ja auch die Einheit der Kirche wahren. Daran merkt man zugleich: Wir als Kirche lavieren nur herum, wenn wir nicht diese schwierigen Fragen wirklich angehen. Ich würde mir von Franziskus jedenfalls mehr Koordination und eindeutigere Aussagen wünschen. Für mich bleibt er dennoch ein Reform-Papst.
Er ist nun 85. Was will er noch erreichen?
Batlogg: Es ist unübersehbar, dass er körperlich schwächer wird. Jeder Tag könnte sein letzter sein. Was ich nicht glaube, ist, dass er auf einen Rücktritt verzichten würde, einzig, weil sein Vorgänger Benedikt XVI. noch lebt und es dann zwei ehemalige Päpste gäbe. Ich sehe zudem, dass er hinter synodalen Prozessen steht.
Erinnern Sie die Kämpfe, die jetzt um diese ausgetragen werden, an das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren?
Batlogg: Sehr stark sogar. Auch damals wollte man mit der Gegenwart ins Gespräch kommen. Auch damals gab es enorme Widerstände. Es kam danach zur Abspaltung der traditionalistischen Piusbrüder und zu anhaltenden Verwerfungen. Daher wäre ich nicht so glücklich darüber, wenn wir in ein Drittes Vatikanisches Konzil stolpern würden. Wir können heute aber in unseren Diskussionen, die von Verhärtungen und Verwünschungen geprägt sind, vom Zweiten Vatikanum lernen: Dort herrschte eine Dialog- und Debattenkultur, von der wir weit entfernt sind.
An diesem Donnerstag endet in Karlsruhe eine weitere Großveranstaltung: die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen.
Batlogg: Dieser Weltkirchenrat repräsentiert fast 600 Millionen Christinnen und Christen auf allen Kontinenten. Schade, dass die römisch-katholische Kirche nicht zu den mehr als 300 Mitgliedskirchen gehört. Aber sie hat Gaststatus und ist interessiert dabei. Ich sehe, dass der Weltkirchenrat – wie Papst Franziskus – verstanden hat, dass Weltklima, Weltfrieden und Weltkirche große Themen sind. Und dass die Glaubwürdigkeit von Kirche zunimmt, wenn wir mit einer Zunge und einem Herzen sprechen – so schwierig das ist mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die Spaltung der orthodoxen Kirchen. Und doch: Man sitzt zusammen, und nur das kann zu Versöhnung führen.
Zur Person: Andreas R. Batlogg, 59, ist ein aus Österreich stammender Theologe und Publizist. Seit 2014 lebt der Jesuitenpater in der Ordensniederlassung bei St. Michael in der Münchner Innenstadt. Sein neues Buch heißt "Aus dem Konzil geboren. Wie das II. Vatikanische Konzil der Kirche den Weg in die Zukunft weisen kann" (Tyrolia, 224 Seiten, 22 Euro). Er stellt es am 26. September in Mindelheim vor. Infos unter www.keb-unterallgaeu.de