Im aktuell kursierenden Referentenentwurf zur Krankenhausreform wird der größte Teil der Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgebrummt: Zum einen sollen 25 Milliarden aus dem Transformationsfonds aus der „Reserve“ des Gesundheitsfonds kommen, zudem werden jährlich hunderte Millionen zusätzliche Mittel in Geburtshilfe und andere Angebote gefordert. Werden die Beitragszahler und allen voran die Arbeitnehmer einseitig belastet?
Andreas Storm: Vorneweg möchte ich betonen: Wie für alle gesetzlichen Krankenkassen ist auch aus Sicht der DAK-Gesundheit eine Krankenhausreform zwingend notwendig. Es ist sehr richtig, dass es dafür einen Transformationsfonds gibt, aus dem über einen Zeitraum von zehn Jahren die nötigen Investitionen für den Umbau der Krankenhauslandschaft ermöglicht werden sollen. Doch genauso muss man sagen: Der jetzt vorgelegte Vorschlag zur Finanzierung des Transformationsfonds ist ein verteilungspolitischer Irrweg mit fatalen Folgen. Es ist mir ein Rätsel, wie der Gesundheitsminister und SPD-Politiker Karl Lauterbach, der Jahrzehnte ein Vorkämpfer für die Idee der Bürgerversicherung war, so einen Vorschlag ernsthaft vorlegen kann. Nach diesem Vorschlag würden ausschließlich die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen die 25 Milliarden Euro Finanzmittel für den Transformationsfonds bezahlen müssen, während die Privatversicherten und die Beamtenversorgung keinen einzigen Cent zu diesem gesundheitspolitischen Großvorhaben beisteuern. So etwas geht gar nicht! Das ist eine klassische Umverteilung von unten nach oben. Die Privatversicherten und die Beamten überhaupt nicht heranzuziehen, ist völlig inakzeptabel.
Befürchten Sie Beitragssteigerungen, wenn es dabei bleiben sollte?
Storm: Die gesetzliche Krankenversicherung ist schon jetzt unterfinanziert ist, nachdem die Bundesregierung ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht erfüllt, den Krankenkassen die angemessenen Beiträge für die Krankenversorgung der Bürgergeld-Empfänger zu bezahlen. Die Kassen erhalten hier zehn Milliarden Euro zu wenig vom Bund. In dieser Situation ist es absurd, ihnen neue gesellschaftspolitische Kosten bei den Krankenhäusern aufzudrücken. Der allgemeine Betragssatz müsste allein zur Finanzierung des Transformationsfonds um 0,2 Prozentpunkte steigen. Derzeit liegt er in der Gesetzlichen Krankenversicherung bei 14,6 Prozent plus im Durchschnitt 1,7 Prozent Zusatzbeitrag.
Macht sich der Bund einen schlanken Fuß, wenn er die Finanzierung der Krankenhausreform alleine der Gesetzlichen Krankenversicherung und den Bundesländern überlässt?
Storm: Minister Lauterbach hatte ursprünglich eine „Revolution“, eine Art Jahrhundert-Reform versprochen. Dies ist nur dann möglich, wenn auch der Bund sich an dieser gewaltigen Herausforderung auch finanziell beteiligt. Das können die Länder und die Krankenkassen allein nicht schultern. Wir halten das geplante Vorgehen des Bundes auch verfassungsrechtlich nicht haltbar, den Großteil der Finanzierung auf die Krankenkassen abzuwälzen, weil die Gesetzliche Krankenversicherung nur für die Bereitstellung der laufenden Kosten zuständig ist. Investitionen in die Infrastruktur des Gesundheitswesens gehören definitiv nicht zur Finanzverantwortung der Krankenkassen. Deshalb ist es auch keinen Fall zu rechtfertigen, dass ein so hoher Anteil von Krankenkassen geleistet werden muss, ganz zu schweigen von der Gerechtigkeit gegenüber den Beitragszahlenden. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie diese Krankenhausreform müssen über das allgemeine Steueraufkommen finanziert werden und nicht nur den Arbeitnehmern und anderen Beitragszahlern aufgebürdet werden. Hier gibt es eine verfassungsrechtliche Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern, das gehört nicht zu den Kernaufgaben der Krankenkassen.
Das Gesundheitsministerium schreibt in dem vorliegenden Reformentwurf, dass die Kassen durch die Reform schon kommendes Jahr Hunderte Millionen, ab 2026 sogar eine Milliarde Euro pro Jahr einsparen werden. Halten Sie das für realistisch?
Storm: Nein. Die im Referentenentwurf genannten Einsparungen auf der Ausgabenseite der Krankenkassen sind völlig unrealistisch. Dass Einsparungen sogar ab 2025 genannt werden, obwohl der Umbau der Krankenhauslandschaft erst im Jahr 2026 beginnen soll, zeigt, dass diese Zahlen haltlos sind. Die Umstellung des Finanzierungssystems, um den Kliniken statt reinen Fallpauschalen auch Vorhaltekosten zu vergüten, erfolgt zudem stufenweise in den nächsten Jahren. Wir erwarten hier in den Anfangsjahren zunächst Mehrbelastungen, bevor mittelfristig die ersten Einsparungen möglich werden.
Das Geld für die Reform soll aus der sogenannten Liquiditätsreserve für die Krankenversicherung fließen. Merken das die Kassen überhaupt?
Storm: Die Liquiditätsreserve ist aus guten Gründen eine Rücklage, die garantieren soll, dass die Gesetzliche Krankenversicherung auch in Krisensituationen alle Rechnungen bezahlen kann. Wir haben in der Corona-Pandemie erlebt, wie wichtig diese Rücklage ist, wenn es kurzfristig zu massiven Mehrausgaben kommt. In der Pandemie mussten die Krankenkassen tatsächlich auf ihre Rücklagen zurückgreifen. Deshalb muss diese Liquiditätsreserve auch aufgefüllt werden. Aus diesem Grund müsste der allgemeine Beitragssatz um 0,2 Punkte angehoben werden. Es wird spannend, ob die Koalition 2025 vor der Bundestagswahl zu diesem Schritt bereit sein wird.
Wie sind Sie sonst mit dem Entwurf und dem Vorgehen des Bundesministers bei der Krankenhausreform zufrieden?
Storm: Insgesamt geht die Krankenhausreform in die richtige Richtung. Doch sie kann nur gelingen, wenn sich Bund und Länder in der konkreten Gesetzgebung auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Das ist derzeit leider nicht der Fall und ein wirklich großes Problem. Die Krankenhausreform kann nur funktionieren, wenn der Bund die Länder und alle anderen Akteure gemeinsam ins Boot holt, und das heißt auch die Krankenhausgesellschaft und die Krankenkassen. Deshalb sollte Minister Lauterbach auf dem Weg der gemeinsamen Verständigung zurückkehren, den er zu Beginn des vergangenen Jahres eingeschlagen hatte. Ohne gemeinsamen Konsens wird das Projekt Krankenhausreform früher oder später scheitern. Der Bund sollte die verfassungsrechtlichen Probleme nicht unterschätzen: Angesichts der Aufgabenverteilung von Bund und Ländern im Grundgesetz im Bereich der Gesundheitspolitik spricht vieles dafür, dass es sich bei der Krankenhausreform, anders als von Minister Lauterbach geplant, doch um ein zustimmungspflichtiges Gesetz im Bundesrat handeln wird. Deshalb wäre es auch im Interesse des Ministers, dass er sich wieder auf die Länder zubewegt. Denn eines ist klar: Wir brauchen dringend eine Modernisierung der Krankenhauslandschaft, doch das geht nur in einem konstruktiven Miteinander aller Beteiligten.
Zur Person: Andreas Storm ist seit sieben Jahren Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse DAK Gesundheit. Zuvor war der Ökonom unter anderem CDU-Staataskanzleichef und Sozialminister im Saarland.