Niedrige Umfragewerte, diverse Tritte ins Fettnäpfchen, immer wieder Skandale und nicht zuletzt die Tatsache, dass der ehemalige Parteichef Sebastian Kurz mit seinem Falschaussage-Prozess noch immer die Schlagzeilen füllt: Es könnte besser laufen für Karl Nehammer. Der Chef der österreichischen Konservativen und amtierende Kanzler war eigentlich angetreten, um die Misere, die die massive Korruptionsaffäre seines Vorgängers angerichtet hatte, aufzuräumen und die ÖVP wieder zurück auf die Gewinnerstraße zu führen. Momentan mit wenig Erfolg: Die extrem rechten Freiheitlichen führen stabil in allen Umfragen, und die Kanzlerpartei und ihr Koalitionspartner, die Grünen, sind in der Alpenrepublik so unpopulär wie kaum eine Regierung zuvor.
Nehammers „Österreichplan“: Genderverbot und Bekenntnis zum Verbrenner-Auto
Abhilfe soll nun ein „Zukunftsplan“ für Österreich schaffen: Am Freitag versammelte sich die Parteiprominenz inklusive aller ÖVP-Ministerinnen und Minister in der Messehalle im oberösterreichischen Wels. Die Botschaft ist klar: Die Partei steht geschlossen hinter dem bisher glücklosen Kanzler.
Stück für Stück und ganz nach einer aus Kurz‘ Zeiten bekannten Methode hatten die ÖVP-Strategen in den vergangenen Tagen häppchenweise Inhalte aus Nehammers „Österreichplan“ an die Medien verteilt. Einmal ließ Nehammer verlauten, es soll Steuersenkungen geben, die Lohnsteuer müsse heruntergesetzt werden. Eine Erklärung, wie das finanziert werden soll, blieb der Kanzler vorerst schuldig.
Ganz nach deutschem Vorbild will Nehammer mit einem "Genderverbot" punkten: Das in Österreich benutzte Binnen-I soll in der Verwaltung verboten werden, forderte der Kanzler. Auch in wissenschaftlichen Arbeiten solle künftig nicht mehr gegendert werden dürfen, wenn es nach ihm geht. Stattdessen soll in Amtstexten sowohl die weibliche als auch die männliche Form verwendet werden. Und nicht zuletzt setzt Nehammer auf das Thema Autofahren. Österreich, das sei ein „Auto-Land“, sagte er und will „Technologieoffenheit“ für die Zukunft von Verbrennermotoren.
Das Problem der Kanzlerpartei: Wann soll Österreich wählen?
Kein Zweifel: Mit seiner programmatischen Rede und dem 82-Seiten-starken „Österreichplan“ entfernt sich Nehammer von seinem grünen Koalitionspartner – und eröffnet die erste heiße Wahlkampfphase in der Alpenrepublik. Dabei aber ist die ÖVP sich keineswegs sicher, ob wirklich wie geplant im Herbst ein neuer Nationalrat gewählt werden soll.
Einigen der mächtigen ÖVP-Landesregierungschefs wäre es offenbar lieber, schon im Juni, zeitgleich mit den EU-Wahlen, in die Wahllokale zu bitten. Dahinter steht die Angst vor einer Abwärtsspirale: Sollte die ÖVP, wie in den Umfragen angedeutet, bei den Wahlen zum EU-Parlament in der ersten Juniwoche herbe Verluste einfahren, könnte sich dies zu einem Negativtrend auswachsen, der schließlich auch bei den Nationalratswahlen im Herbst zu einer Niederlage der Konservativen führen würde.
Die Meinungen, welche Variante für den Kanzler die bessere Option darstellen würde – Frühjahrtermin oder doch Herbst – gehen in der Partei allerdings auseinander. Schließlich beteuerten Nehammer und sein grüner Vizekanzler Werner Kogler in den vergangenen Monaten stets, bis zum Ende der Legislaturperiode weitermachen zu wollen – trotz aller koalitionsinterner Querelen, auch rund um die alten ÖVP-Skandale.
Wie die ÖVP Anhänger von Sebastian Kurz zurückgewinnen will
Noch haben die Parteigranden Zeit, die Sache auszudiskutieren: Die gesetzlichen Fristen würden eine Entscheidung im Parlament bis Anfang März erlauben. Dass ein entsprechender Antrag der ÖVP im Nationalrat Erfolg haben würde, steht außer Zweifel: Dem von der Umfragewelle getragenen rechtspopulistischen FPÖ-Chef Herbert Kickl wäre es nur recht, so rasch als möglich die Wahlentscheidung herbeizuführen. Eine Mehrheit im Parlament für Neuwahlen wäre damit gesichert, die Entscheidung liegt bei der Kanzlerpartei ÖVP.
Den Versuch, die mutmaßlich zu den Freiheitlichen abgewanderten ehemaligen Kurz-Wähler wieder zurückzuholen, verdeutlichen auch die im „Österreichplan“ festgehaltenen Vorhaben im Sozialbereich: So sollen künftig Asylbewerber erst nach fünf Jahren legalem Aufenthalt vollen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Kürzungen soll es allerdings auch beim Arbeitslosengeld geben: So will die ÖVP Druck auf Arbeitssuchende ausüben, schneller wieder in Beschäftigung zu kommen.
Im Messesaal in Wels jedenfalls war Herbert Kickl durchaus präsent – wenn auch nur digital. Eine Kickl-Rede, in der der FPÖ Chef von einer „Fahndungsliste“ mit ÖVP-Ministern redete, wurde zugespielt. Ein „Sicherheitsrisiko“ sei Kickl, sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker: „Er ist ein Versager.“ Allerdings koaliert die ÖVP in drei Bundesländern mit Kickls FPÖ.